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Die Tote im See

Die Tote im See

Titel: Die Tote im See Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Raymond Chandler
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Raymond Chandler

    Die Tote im See

    Roman

    Aus dem Amerikanischen
    von Hellmuth Karasek

    Diogenes
    Titel der 1943 bei Alfred A. Knopf, New York,
    erschienenen Originalausgabe:
    ›The Lady in the Lake‹

    Copyright © 1943 by
    Helga Greene Literary Agency
    Umschlagfoto: Robert Montgomery
    und Audrey Totter im Film
    ›The Lady in the Lake‹ von Robert Montgomery (1946)
    Alle deutschen Rechte vorbehalten
    Copyright © 1976
    Diogenes Verlag AG Zürich
    www.diogenes.ch
    40/01/43/20 ISBN 3 257 20.311 x

    Das Treloar Building stand in der Olive Street, nahe der Sixth Ave‐
    nue an der Westside. Es steht da noch immer. Den Gehsteig vor dem
    Gebäude hatte man mit weißen und schwarzen Gummiplatten ge‐
    pflastert. Jetzt war man dabei, die Platten abzureißen, um sie der Regierung abzuliefern. Und ein Mann, blaß und ohne Hut, mit dem
    Gesicht eines Hausverwalters schaute dem Abriß zu und sah aus, als ob ihm dabei das Herz bräche.
    Ich ging hinter ihm vorbei, durch einen Bogengang mit Fachge‐
    schäften, und kam in eine riesige schwarzgoldene Eingangshalle.
    Die Gillerlain Company war auf der Vorderseite des siebten Stock‐
    werks, hinter Schwingtüren, deren Doppelglas in Platin eingefaßt war. Der Empfang war mit chinesischen Läufern ausgelegt, hatte
    matte Silbertapeten, gerade, jedoch kunstvoll ausgearbeitete Möbel,
    scharfglänzende Exemplare abstrakter Plastik auf Sockeln und eine große Ausstellungsfläche in einem dreieckigen Schaukasten in der Ecke. Auf Stufen und Reihen, Inseln und Hügeln aus leuchtendem Spiegelglas schien sie jede nur erdenkliche Art phantasievoller
    Fläschchen und Schächtelchen zu präsentieren. Es gab Cremes und
    Puder und Seifen und Gesichtswasser für jede Jahreszeit und jede Gelegenheit. Es gab Parfüms in schlanken hohen Flacons, die aussa-hen, als könnte sie ein Atemhauch umwehen, und Parfüms in klei‐
    nen pastellfarbenen Phiolen mit niedlichen Atlas‐Schleifchen: kleine
    Mädchen, die in der Tanzstunde ihren Knicks machten. Die Krö‐
    nung des Ganzen stellte ein winziges Etwas in einer untersetzten Bernsteinflasche dar; es stand genau in der Mitte, in Augenhöhe, mit
    gebührendem freien Raum umgeben. Und auf seinem Etikett stand:
    ›Gillerlain Regal – Der Champagner unter den Parfüms‹. Es war
    offensichtlich das einzig Richtige: Einen Tropfen davon in die Hals‐
    beuge – und die entsprechenden rosa Perlen rieseln herab wie ein 4
    warmer Sommerregen.
    Eine kleine hübsche Blondine saß weit weg in einer fernen Ecke an
    einer kleinen Telefonvermittlung, durch ein Gitter von allen Gefah‐
    ren abgeschirmt. An einem flachen Schreibtisch, der eine Tür be-wachte, saß eine hochgewachsene, schlanke dunkelhaarige Schön‐
    heit, die dem feingehämmerten Namensschild auf ihrem Tisch zu‐
    folge ›Miss Adrienne Fromsett‹ hieß.
    Sie trug ein stahlgraues Kostüm, unter der Jacke eine dunkelblaue
    Hemdbluse und eine etwas hellere Krawatte. Die Kanten ihres gefal‐
    teten Ziertuchs waren scharf zum Brotschneiden. Ein Kettenarm‐
    band war ihr einziger Schmuck. Ihr dunkles Haar war gescheitelt, sie hatte lose, aber keineswegs wilde Locken, eine reine Elfenbeinhaut und große dunkle Augen, die den Eindruck machten, als könn‐
    ten sie zur rechten Zeit und am rechten Platz erheblich wärmer blik‐
    ken.
    Ich legte ihr meine einfache Visitenkarte – die ohne die kleine Pi‐
    stole in der Ecke – auf den Tisch und bat darum, Mr. Derace Kings‐
    ley sprechen zu dürfen.
    Sie warf einen Blick auf die Karte und sagte: »Sind Sie verabredet?«
    »Nein.«
    »Es ist aber sehr schwierig, Mr. Kingsley ohne Verabredung zu
    sprechen.«
    Dagegen war schwer etwas einzuwenden.
    »In welcher Angelegenheit kommen Sie, Mr. Marlowe?«
    »In einer privaten.«
    »Aha. Kennt Mr. Kingsley Sie, Mr. Marlowe?«
    »Ich glaube kaum. Vielleicht hat er schon mal meinen Namen ge‐
    hört. Vielleicht sagen Sie ihm, daß ich von Lieutenant M’Gee komme.«
    »Kennt Mr. Kingsley Lieutenant M’Gee?«
    5
    Sie legte meine Karte neben einen Stapel frisch geschriebener Brie‐
    fe, lehnte sich zurück, legte einen Arm auf den Tisch und trommelte
    leicht mit ihrem kleinen goldenen Schreiber auf die Tischplatte.
    Ich grinste ihr zu. Die kleine Blondine in ihrem Telefonkäfig spitz‐
    te ein muschelförmiges Ohr und lächelte ein flaumig leichtes Lä‐
    cheln. Sie sah verspielt und zutraulich aus, aber mit einer Spur Un‐
    sicherheit, wie ein neues Kätzchen in einem Haus, in dem man

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