Monkeewrench 02 - Der Koeder
noch.»
«Manchmal bin ich mir nicht sicher, warum wir das tun. Warum machen wir weiter, obwohl alles so schlimm wird?» Er schaute auf die verblasste bläuliche Tätowierung auf ihrem Arm. «Es muss doch Zeiten gegeben haben, in denen du dich gefragt hast, ob es das wert ist.»
Sie machte die Schultern unter dem bauschigen lila Mantel gerade und musterte ihn mit festem Blick. «Nicht ein einziges Mal. Nicht einen Moment lang. Das Leben ist es immer wert.»
Lange nachdem die Tür hinter ihr ins Schloss gefallen war, blieb Marty auf dem Bett sitzen, ein wenig beschämt durch diese winzige alte Frau, die so viel stärker war als er.
Schließlich ging er hinüber zu dem alten Rollpult in der Ecke, zog den Stuhl vor und setzte sich. Die oberste Schublade war so gut wie leer, außer einem Schreibblock und einer Packung Kugelschreiber. Mit großer Sorgfalt richtete er den Block mitten auf der Tischfläche aus, wählte einen Kugelschreiber, blieb einfach sitzen und wartete. Schließlich bewegte sich seine Hand fast wie selbsttätig, griff nach dem Kugelschreiber und zeichnete einen Kreis, von dem Linien in alle Richtungen ausgingen, wie die Strahlen einer Sonne. In die Mitte dieser Sonne schrieb er «JACK».
Eine Stunde später lehnte er sich zurück und rieb sich die brennenden Augen. Zum ersten Mal seit langer Zeit hatte er ein größeres Bedürfnis nach Kaffee als nach Scotch. Er hatte drei Blatt Papier mit Anmerkungen und Fragen gefüllt, und es schossen ihm weiterhin wahllos die Gedanken durch den Kopf und verlangten, aufs Papier übertragen zu werden.
Genau dies tat er für gewöhnlich, wenn er an einem besonders komplizierten Fall arbeitete. Die vertraute Tätigkeit erinnerte ihn an so manchen späten Abend, wenn Hannah ganz still in sein Büro geschlichen kam, ihm die Arme über die Schultern gelegt und ihn sanft dafür gescholten hatte, dass er sie im großen kalten Bett allein ließ. Er spürte beinahe das Gewicht ihrer weichen Arme, roch den Zitronenduft der Seife, mit der sie ihr Gesicht wusch, und fühlte, wie ihr seidiges Haar seinen Nacken kitzelte.
Ein verblüfftes Lächeln formte sich langsam auf seinen Lippen. Ein ganzes Jahr lang war seine einzige Erinnerung an Hannah die an ihren Tod gewesen. Jetzt konnte er sich zum ersten Mal an einen Teil ihres Lebens erinnern.
Es geht mir langsam besser, dachte er und schlug eine neue Seite auf.
KAPITEL 25
Die Sonne ging gerade über dem Steilufer des Flusses auf, als Magozzi und Gino den Mississippi auf der Lake Street Bridge überquerten. Die rosafarbenen und goldenen Streifen am Himmel wurden von der dunklen Oberfläche des Wassers reflektiert, wo sie sich kräuselten wie schimmernde Bänder aus perlendem Champagner.
«Mann, wie ich mir wünschte, das auf eine Leinwand bringen zu können», murmelte Magozzi. «Sieh nur das Wasser, Gino. Wie schön es ist.»
Gino grunzte nur. Er hatte an diesem Morgen bedenkliche Tränensäcke unter den Augen, und sein kurz gestutztes Blondhaar sah ungehalten aus. «Du kannst mich mal mit deinem < schön >. So würdest du nicht reden, wenn du meine Nacht hinter dir hättest. Der Unfall hatte sich über eine Schachtel Kinderzerealien hergemacht, die mit den verschiedenfarbigen Tieren, und hat dann fast drei Stunden lang Regenbögen gekotzt. Sah genau aus wie das Wasser da unten.»
«Der Kleine ist doch bestimmt noch zu jung, um so ein Zeug zu essen, oder?»
«Der Kleine wird die Dinger niemals essen, wenn es nach Angela geht. Es war mein Geheimvorrat. Kennst du diese Gummibanddinger, mit denen man Schränke kindersicher macht?»
«Nein.»
«Na ja, sie funktionieren nicht, es sei denn, der Unfall ist ein Genie.»
«Du musst aufhören, ihn so zu nennen. Er bekommt sonst noch einen Komplex.»
«In sein kleines, süßes, sabberndes Gesicht würde ich ihm das nie sagen. Mann, habe ich einen Hunger. Und würdest du mir bitte erzählen, warum der Verkehr um sechs Uhr morgens mitten auf dieser Brücke total zum Stillstand gekommen ist?»
Der legendäre Wasserlauf, über dem sie in der Schwebe gehalten wurden, war die geographische Trennlinie zwischen Minneapolis und seiner Zwillingsstadt, und nachdem Magozzi an diesem Morgen eine Wiederholung von Kristin Kellers Fernsehbericht gesehen hatte, war ihm klar geworden, warum Malcherson eine winzige Imbissstube in St. Paul als Ort für die morgendliche Krisenbesprechung gewählt hatte. Wie man nämlich hörte, lagen die Medienleute bereits an der City Hall in
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