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Monkeewrench - 03 - Mortifer

Monkeewrench - 03 - Mortifer

Titel: Monkeewrench - 03 - Mortifer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: P. J. Tracy
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und Furchen in dem Acker mit den Toten. Ihre Augen wanderten ein Stück nach rechts, wo ihr letzter schauriger Fund lag. Sie fühlte sich leer und taub, während sie auf ein kleines, jeansgekleidetes Bein blickte und versuchte, es mit einem Körper in Verbindung zu bringen, von dem ihr Verstand wusste, dass es der eines Kindes sein musste. Ganz in der Nähe ragte etwas Langes, Braunschwarzes, Fellbedecktes aus der Erde, das sie im ersten Moment nicht einzuordnen vermochte.
    Nach ein paar Sekunden oder Minuten oder einer Ewigkeit atmete sie tief durch und bewegte sich auf Händen und Knien zu der Stelle. Einen Schritt weit. Zwei. Zwei kleine, weiche, runde Löcher von ihren Knien im Dreck, und sie war da. Sie setzte sich auf die Hacken und blickte vor sich zu Boden, und mit zitternder Hand griff sie danach wie ein Kind, das sich überwinden musste, zum ersten Mal in seinem Leben eine Schlange anzufassen. Sie ist nicht schleimig. Sie ist ganz trocken und warm. In dem Augenblick, in dem ihre Fingerspitzen das kleine Bein berührten, begann sie zu weinen.
    Grace hatte Annie noch niemals weinen sehen, in all den Jahren nicht, die sie sich schon kannten, und dieses Weinen verursachte mehr als alles andere, dass sie sich fast zu Tode fürchtete.
    Das Bein war kalt. Das war einmal ein Mensch, sagte sich Annie immer wieder. Eine lebendige Person. Das hier ist kein Horrorfilm, und es ist kein Monster und kein Zombie, sondern die leere Hülle eines kleinen Menschen, der einmal darin gelebt hat. Und es ist nicht gruselig, absolut nicht. Es ist nur unendlich traurig. Unendlich traurig.
    Sharon kniete direkt neben Annie. Sie hatte die Hände vor das Gesicht geschlagen. Fürchte dich nicht vor dem Bösen, fürchte dich nicht vor dem Bösen, heilige Maria voll der Gnaden, der Herr sei mit dir, gebenedeit seist du unter den Weibern … wo bist du, Mutter Gottes? Wo warst du, als all diese Menschen starben? Hast du vom Himmel herab zugesehen, mit gefalteten Händen vor deinem fließenden blauen Gewand, und ist dir dein Mona-Lisa-Lächeln ein klein wenig vergangen, als sie den Dreck auf die Leichen geschaufelt haben? Und damals, als meine eigene Mutter sich die Pistole in den Mund gesteckt hat – WO WARST DU DA?
    Undeutlich spürte sie, wie Grace im Hintergrund zu Annie redete, eine flüsternde, tröstende, beruhigende Stimme, die grauenhaft falsche Sachen sagte, Sachen, die beinahe so böse erschienen wie das, was hier geschehen war. Still, Annie, ganz still. Ist ja gut, Annie, ist ja gut … Was für eine grausame Lüge das doch war. Sharon nahm die Hände von den Augen und starrte dumpf am Stallgebäude vorbei zum Farmhaus, doch sie konnte nicht mehr richtig sehen, weil ihre Augen vor Tränen schwammen. Als sie blinzelte, fielen Tropfen auf den billigen, schmutzigen FBI-Anzug, und dann sah es aus, als würde eines der Fenster ihr zuzwinkern. Sie blinzelte erneut, neugierig geworden, mit zur Seite geneigtem Kopf. Das Fenster blinzelte zurück, und dann blinzelte das Fenster daneben, ein kleiner greller Lichtkegel, der wie die Puppille eines riesigen Auges wirkte, das die Sonne reflektierte.
    Plötzlich erwachte sie aus ihrem umnebelten Zustand und hob ruckartig den Kopf. Sie starrte nach links, vorbei am Rand des Stalls, zu der langen Zufahrt und … »O mein Gott!«
    Grace und Annie grunzten, als Sharon zu ihnen stürzte, sie packte und hochzureißen versuchte, während ihre Füße neue Löcher in den weichen Boden stampften. »Schnell, schnell!«, zischte sie atemlos. »Scheinwerfer! Fahrzeuge kommen über die Auffahrt zur Farm! Schnell, wir müssen hier weg! Schnell!«
    Und dann kämpften sich alle drei durch das lockere, nachgiebige Erdreich zu dem festen Boden hinter der Koppel vor und rannten weiter, ohne anzuhalten, bis in das hohe Gras auf der anderen Seite des Zauns.
    Sharon flog förmlich, schneller als die beiden anderen Frauen. Sie rannte von der Scheune und der Koppel weg, gebückt wie der Glöckner von Notre-Dame, vorbei an dem dreckigen grünen Riesentraktor, über eine flache Hügelkuppe und einen Hang hinunter. Sie konnte Grace und Annie dicht hinter sich hören; der Atem der beiden Frauen war in ihren Ohren so laut wie Donnerhall. Vor ihnen vermischte sich das hohe Gras mit immer mehr Schilfkolben.
    »Runter!«, zischte eine von ihnen genau in dem Augenblick, als Scheinwerfer die Nacht zerteilten und ihre Strahlen die Dunkelheit über ihren Köpfen durchbohrten wie Finger aus Licht, die nach ihnen zu greifen

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