Monkeewrench 04 - Memento
PROLOG
Sie mussten einen Augenblick verschnaufen, nachdem sie die Leiche in der Hitze so weit geschleift hatten. Jetzt saßen sie am Hang des Hügels, zwei junge Frauen in ärmellosen Sommerkleidern, die Arme um die Knie geschlungen, während ein heißer Wind mit ihren Haaren spielte, sich unter ihre Röcke stahl und hinter ihnen ein Toter lag. Sie schauten beide starr geradeaus auf die sanft geschwungenen Präriegrasfelder, nirgendwo anders hin.
«Vielleicht hätten wir ihn an ein Brett binden sollen», sagte Ruth nach ein paar Minuten. «Dann hätte er sich nicht immer im Gras verfangen.»
Laura machte den Mund auf und schloss ihn dann gleich wieder. Fast hätte sie gesagt, dass sie das ja nun fürs nächste Mal wussten. Sie schloss die Augen und sah wieder die großen, schwieligen Hände im Gras, mit gekrümmten Fingern, als wollte er sich irgendwo festhalten. Es war Hochsommer, und das Präriegras war lang, es schwankte im Wind, schlang sich um den rauen Stoff seiner Ärmel.
«Sollen wir anfangen?»
Lauras Herz setzte einen Schlag lang aus. «Gleich.»
Doch Ruth konnte einfach nicht lange still sitzen. Sie war wie ein kleiner Vogel, dessen Flügel so schnell flatterten, dass man sie kaum sehen konnte, der scheinbar ständig am Rand der Panik hin und her schoss. Jetzt gab sie sich Mühe, Laura zuliebe ruhig zu sitzen, doch ihre Hände bewegten sich eifrig, rissen fast verzweifelt einen Grashalm nach dem anderen ab. «Ich habe Kopfweh.»
«Das sind die Kämme. Davon bekommt man immer Kopfweh.»
Ruth zog die Kämme aus dem Haar und schüttelte es, die schönen blonden Locken flössen ihr wie flüssiges Sonnenlicht über den Rücken. Die dumme Ruth ... sie war so altmodisch wie der Name, den man ihr angehängt hatte: das Haar zu lang, die Röcke zu kurz. Vielleicht hatte sich ja deshalb alles so zugespitzt. Sie schaffte es, fast eine Minute lang ruhig zu sitzen, dann wurde sie wieder zappelig.
«Hör auf zu hampeln, Ruth.»
«Schrei mich nicht an.»
Laura hörte den weinerlichen Klang ihrer Stimme und brauchte gar nicht hinzusehen, um zu wissen, dass Ruths Unterlippe zitterte. Bald würden die Tränen fließen. Sie hatte sie im Grunde nicht angeschrien, doch ihr Ton war wohl zu scharf gewesen. Das war nicht richtig. Ruth war schon immer empfindlich gewesen, lange bevor ihr Bauch sich gerundet hatte, sie musste vorsichtiger sein. «Entschuldige, das wollte ich nicht. Ist dir schon ein Name für das Baby eingefallen?»
«Versuch nicht immer, mich abzulenken. Wir müssen jetzt das Loch graben.»
«Ich hätte einfach gern, dass du einen Augenblick lang ausruhst. Das brauchst du.»
«Ausruhen?» Ruth sah sie an, als hätte sie einen Kraftausdruck verwendet. «Aber wir haben doch so viel zu tun.»
«Nur das hier.»
Und mit einem Mal musste Laura lächeln und spürte, wie ihre Anspannung nachließ, zum ersten Mal seit Jahren. Genauso war es. Einen Mann umbringen, ihn begraben - mehr hatten sie heute nicht zu tun.
Nach ein paar Sekunden sagte Ruth: «Emily.»
«Wie bitte?»
«Emily. Ich nenne sie Emily.»
«Und wenn es ein Junge wird?»
Ruth lächelte. «Wird es nicht.»
An diese Geschichte dachte Emily am letzten Tag. Sie war erstaunt, dass sie sich überhaupt noch daran erinnerte. Schließlich hatte sie sie nur zweimal gehört: Einmal von ihrer Tante Laura, die sie ihr an ihrem dreizehnten Geburtstag erzählt hatte - heimlich, als handelte es sich um ein seltenes und kostbares Geburtstagsgeschenk -, und dann noch einmal von ihrer Mutter, an dem Tag, als Emily die heimatliche Farm verließ, um Lars zu heiraten und sich ein eigenes Leben aufzubauen. Ihre Mutter hatte gekichert beim Erzählen, ganz anders als ihre Tante, das hatte Emily ein wenig Angst gemacht. Doch dann hatte ihre Mutter ihr eingeschärft, sich die Geschichte zu merken, weil es gar nicht komisch sein würde, falls einmal ein Tag kommen sollte, an dem sie sie brauchte.
Heute war dieser Tag, dachte Emily. Sie fragte sich, ob sie es wohl endlich schaffen würde, nach all den Jahren. Und wenn sie es wirklich schaffte, wozu waren all die verschwendeten Jahre dann gut gewesen?
Es war der letzte Tag, der letzte Tag der Geheimniskrämerei. Sie lag auf dem Rücken im Bett, die rechte Hand auf den flachen Bauch gepresst, und drückte mit aller Kraft den Schmerz zurück nach innen, das bösartige, wuchernde Etwas, das sich in ihr wand und seine gierigen Fangarme nach den hilflosen Nerven ausstreckte. Großer Gott, es tat so weh.
Draußen vor
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