Montgomery & Stapleton 05 - Das Labor des Teufels
dechiffriert wird, Zugang zu allen Informationen, welche die Natur gesammelt hat, um ein menschliches Wesen zu schaffen und funktionieren zu lassen. Damit ist abzusehen, dass die Kenntnis vom menschlichen Genom alles verändern wird, was wir über Medizin wissen, und einige der Veränderungen werden eher früher als später eintreten.
Wie jede Entdeckung der Wissenschaft wird auch die Entschlüsselung des menschlichen Genoms positive und negative Folgen nach sich ziehen. Als Vergleich kann die Erforschung der inneren Struktur und Funktionsweise des Atoms herangezogen werden. Hier hat die Menschheit darin versagt, rechtzeitig die negativen Konsequenzen vorauszusehen, wie die gegenwärtigen Ereignisse in Zusammenhang mit der Verbreitung von Atomwaffen nahe legen. Mit der Entschlüsselung des menschlichen Genoms muss sie sorgsamer umgehen. Heute besteht in dieser von Globalität geprägten Welt ein allgemeiner Konsens, dass die Gesellschaft alle Anstrengungen unternehmen muss, die möglichen Konsequenzen größerer Sprünge in Wissenschaft und Technik zu bedenken und ihnen in proaktiver Weise statt unvorbereitet zu begegnen und erst beim Eintritt eines Desasters zu reagieren.
In diesem Roman geht es um eine der negativen Folgen, d.h. um den negativen Einfluss auf die Fähigkeit, Krankheiten vorherzusagen, wenn die Schweigepflicht verletzt wird und Informationen durch die falschen Personen gesammelt werden oder in die falschen Hände geraten, wodurch sich die Möglichkeit (oder vielmehr die Unvermeidbarkeit) unterschiedlichster Arten von Diskriminierung ergibt. Leider wird das Risiko, dass genau dies eintrifft, hoch sein, da Mikroarrays, wie sie im Roman beschrieben werden, bereits existieren und es damit möglich ist, mit einem einzigen Blutstropfen mühelos Tausende von Markern für ungünstige Genmutationen nachzuweisen. Zur Erinnerung: Ein Marker ist eine punktuelle Veränderung in der Sequenz nukleotider Basenpaare, welche die Sprossen der Leiter des DNS-Moleküls darstellen. Bei der Kartierung wurden Marker über das gesamte menschliche Genom verteilt gefunden. Die Mikroarray-Objektträger werden automatisch von Laserscannern gelesen, und die Ergebnisse können dank der Fortschritte in der Bioinformatik direkt auf Computer übertragen werden, die mit der entsprechenden Software ausgestattet sind. Damit lassen sich Risiken und demzufolge Kosten äußerst schnell und genau vorausberechnen.
Ein Ergebnis dessen ist, dass das Konzept der Krankenversicherung, das auf Risikoverteilung innerhalb festgelegter Gruppen basiert, überholt ist, da ein Risiko nicht mehr verteilt werden muss, wenn es sich festlegen lässt. Meiner Meinung nach sind die Auswirkungen dieser neuen Wirklichkeit ungeheuerlich. Als Arzt hatte ich immer Vorbehalte gegen Krankenversicherungen. Ausnahmen waren die Absicherung gegen extreme Risiken und die Versorgung von Menschen, die ihre Gesundheitskosten nicht bezahlen konnten. Ein wirklich persönliches und befriedigendes Arzt-Patienten-Verhältnis kann sich für beide Seiten nur entwickeln, wenn eine direkte, treuhänderische und vertrauensvolle Beziehung möglich ist. Ist dies der Fall, bewerten meiner Erfahrung nach beide Seiten das Verhältnis höher, es besteht die Bereitschaft, mehr Zeit und Aufmerksamkeit für möglicherweise wichtige Details aufzuwenden, und die Bereitschaft des Patienten zur Mitarbeit steigt. Die Folge sind bessere Ergebnisse und größere Zufriedenheit für alle Beteiligten.
Weil aufgrund der Genomik und Bioinformatik die Risikoverteilung innerhalb einer definierten Gruppe überflüssig wurde, musste ich meine Position revidieren, was hieß, dass ich von einem Extrem ins andere gerutscht bin. Heute denke ich, dass es nur eine Lösung gibt, um die Kosten im Gesundheitswesen – darunter verstehe ich Prävention, Notfallmedizin und extreme Risiken – zu decken: Das Risiko muss auf eine ganze Nation verteilt werden. Nie hätte ich gedacht, dass ich einmal diese Position einnehmen würde, aber heute glaube ich, dass in einem Land, das zum staatlichen, nicht auf Profit ausgerichteten Gesundheitswesen wechselt, die Wahrscheinlichkeit sinkt, dass die in diesem Roman dargestellten Diskriminierungsformen und Schreckensszenarien zum Tragen kommen. Für jene Länder, die bereits über ein solches System verfügen, gilt, dass jedes System, bei dem das Budget eines Mitglieds zentral verwaltet wird und in Bezirke, Regionen oder Gruppen jeglicher Art eingeteilt ist, dieses zugunsten
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