Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Moon

Moon

Titel: Moon Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James Herbert
Vom Netzwerk:
stach zu, stach hinein in diese quälenden Gedanken. Er zerrte den ersten Finger nach oben.
    Ein ängstliches Stöhnen, als er den zweiten losstemmte.
    Ein verzweifeltes, wütendes Kreischen, als er schließlich die beiden letzten Finger losriß - und sie hinabstürzte, hinab, hinab, in diese scheinbar endlose Tiefe. Ihr Körper prallte immer wieder von der nach außen gewölbten Staumauer ab.
    Dann hörte Childes den klatschenden Schlag, das Knirschen, diesen letzten Laut, mit dem sie auf dem Betonbecken tief unten auftraf. Er rutschte an der Mauer entlang zu Boden. Und noch bevor er richtig saß, überkam ihn die Erleichterung - überwältigende Erleichterung. Der schwarze, rumorende Druck und dieser wirre, kochende Zorn waren verschwunden. Er war frei. Er war endlich wieder frei. Für Tränen war er viel zu benommen. Für jede Art von Freude viel zu müde. Er konnte nur dasitzen und in die wogenden Nebel starren, die sich jetzt ganz allmählich auflösten.
    Obwohl... einer blieb.
    Annabel beugte sich vor und berührte mit ihren kleinen, kalten Fingern (die vorher nicht dagewesen waren) sein Gesicht. Helligkeit flammte auf und schimmerte mühelos durch sie hindurch. Die Helligkeit kam von anderen Ende des Dammes. Annabel wurde mehr und mehr zu verwehendem Dunst. Dann war sie verschwunden.
    »Illusion«, sagte Childes leise zu sich selbst.

Die Helligkeit stammte von Scheinwerfern und Stablampen. Menschen tauchten auf dem Dammsteg auf. Childes starrte in den grellen Glanz und hob schließlich eine Hand und schirmte die Augen ab. Er hörte Wagentüren schlagen und Stimmen, und er sah Silhouetten vor der Helligkeit. Neue Schemen. Seltsamerweise war er neugierig darauf, zu erfahren, wie sie ihn gefunden hatten; aber er war nicht überrascht. In dieser Nacht konnte ihn nichts mehr überraschen.
    Childes wollte herunter von dem Damm; er wollte fort von diesem Ort, obgleich sich die illusionären Nebel längst aufgelöst hatten, obgleich es da keine Hand mehr gab, die sich grotesk an den Brüstungssims klammerte. In dieser Nacht war zuviel geschehen, er brauchte Ruhe und Frieden. Sein Kopf war leicht - der Druck war verschwunden, und er würde niemals zurückkehren (zumindest nicht dieser Druck!), und obgleich Childes verwirrt war und verwundert, waren seine Sinne von einer stillen Euphorie angestachelt. Er brauchte Zeit zum Nachdenken. Er akzeptierte seine sensorischen Fähigkeiten. Er würde damit leben können, denn er bezweifelte nicht, daß sie kontrolliert und zurückhaltend und bewußt eingesetzt werden konnten; das hatte sie ihm bewiesen, obwohl ihre Absichten durch und durch schlecht gewesen waren und obwohl sie eine ganz andere Art von Kontrolle im Sinn gehabt hatte. Unbeholfen richtete er sich auf und sah über die Brüstung hinweg - er sah nicht ins Tal hinab, sondern weit hinaus über das Staubecken, dorthin, wo das Mondlicht jetzt nicht mehr düster, sondern mit einer strahlenden Reinheit auf der ruhigen Wasserfläche schimmerte. Er atmete die frische Nachtluft ein und kostete den leichten Salzgeschmack des Meeres, der von einer Brise landeinwärts getragen worden war. Die
    Luft reinigte und befreite sein innerstes Ich von allen noch versteckten Schatten. Er drehte sich um und ging den Lichtern entgegen.
    Overoy war als erster bei ihm; Robillard und zwei weitere Beamte folgten dicht hinter ihm.
    »Jon«, sagte Overoy. »Sind Sie in Ordnung? Wir haben alles gesehen. Wir wissen, was passiert ist.« Er griff Childes' Arm und stützte ihn.
    Childes blinzelte in die Lichter.
    »Dreht die Lampen weg«, befahl Overoy.
    Die beiden Beamten, die Robillard folgten, schwenkten ihre Stablampen herum, so daß die Lichtstrahlen auf den Dammsteg hinaustasteten. Robillard gab den Kollegen in den Streifenwagen ein Zeichen, und die Scheinwerfer erloschen. Die Erleichterung kam sofort. Es war, als habe sich eine wohlwollende Wolke vor die blendend helle Sonne geschoben.
    »Sie haben es gesehen?« brachte Childes endlich heraus.
    »Nicht deutlich«, schränkte Robillard ein. »Nebel ist aufgekommen. Aus dem Stausee. Unsere Sicht war nicht gerade gut.«
    Nebel? Childes schwieg.
    Overoy übernahm; er sprach hastig, als sei er darauf bedacht, Robillard zuvorzukommen. »Ich habe gesehen, daß Sie versucht haben, sie zu retten, Jon.« Er sah Childes direkt in die Augen, und obwohl sein Blick merkwürdig ausdruckslos wirkte, schloß er doch jede Meinungsverschiedenheit aus. Childes war ihm dankbar. Robillard nicht so sehr. Er starrte

Weitere Kostenlose Bücher