Moon
seinen Kollegen skeptisch an, enthielt sich aber jeden Kommentars.
Overoy fuhr ungerührt fort: »Ich nehme an, sie wollte
Sie umbringen. Ich meine, bevor sie über die Brüstung fiel... Pech, daß sie so verdammt schwer war. Unmöglich, sie festzuhalten.« Jetzt waren seine Worte sorgfältig gewählt; eine Feststellung, die im Gedächtnis haften bleiben sollte.
»Sie wissen, daß es eine Frau war?« sagte Childes ganz ruhig.
Overoy nickte. »Wir haben ihre Wohnung aufgespürt. Drüben auf dem Festland. Ich habe heute abend ein paarmal versucht, Sie anzurufen, aber die Leitung war jedesmal belegt. Pures Glück, daß ich noch die letzte Maschine erwischt habe.«
Die beiden Polizisten leuchteten in die Tiefe hinab; die Lichtkegel fanden die zerschmetterte Gestalt und tasteten darüber hinweg.
»Was wir in der Wohnung fanden, war nicht sehr angenehm...« Er druckste herum, zuckte die Schultern. »Na ja, genaugenommen war es sogar ziemlich grausig. Aber damit war wenigstens schlüssig bewiesen, daß sie die Mörderin war, hinter der wir her waren.« Jetzt war Overoy grimmig. »Der Leichnam des Mädchens -Annabels Leichnam - war unter dem Parkettboden versteckt. Wahnsinn. Der Verwesungsgestank hätte die Frau innerhalb kürzester Zeit verraten. Es war nur eine Frage der Zeit, bis sich die anderen Mieter beschwert hätten. Aber vielleicht war ihr das gleichgültig. Vielleicht wußte sie zu diesem Zeitpunkt schon, daß das Spiel aus war - und daß sich hier, auf der Insel, alles entscheiden würde. Sie war ein Psychopath, durch und durch, und das ist eine Ironie in sich.«
Childes blickte den Detective fragend an.
»So bin ich eigentlich auf sie gekommen«, erklärte Overoy. »Ihr Name stand auf dieser Personalliste, die ich mir von der psychiatrischen Klinik besorgt hatte. Sie war dort als Krankenschwester angestellt, und offensichtlich war sie mindestens so verrückt wie ihre Schützlinge. Gott, Sie hätten diesen Müll in ihrer Wohnung sehen müssen: okkultes Zeug, Bücher über Mythologie, Embleme, Symbole. O ja, und natürlich eine kleine Sammlung Mondsteine; muß einiges gekostet haben. Wenn all diese Steine für weitere Opfer reserviert waren, dann...« Overoy zuckte mit den Schultern.
»Sie sagte, sie würde den...«
»... den Mond anbeten?« fiel Overoy ein. »Ja, tat sie. Eine ganz spezielle Mondgöttin. Steht alles in diesen Büchern, in ihren Aufzeichnungen. Irres Zeug, total wirr!«
Andere Gestalten tauchten auf dem Damm auf und näherten sich.
Robillard ergriff das Wort: »Als uns Inspector Overoy den Namen der Frau nannte, konnten wir leicht feststellen, daß sie mit einer Fähre hier angekommen war. Na ja, sie hielt sich schon ein paar Wochen hier auf. Anschließend war es kein Problem mehr, ihre Unterkunft zu finden. Sie ist in einem Gästehaus im Landesinneren abgestiegen, weit genug entfernt von der Küste und allen Touristikzentren. Sie ließ sich den ganzen Tag über nicht sehen. Wir haben ihr Zimmer durchsucht. Offenbar hatten Sie heute nacht Glück, Mr. Childes: Sie hat ihr Handwerkszeug auf ihrem Zimmer zurückgelassen. Wir fanden eine kleine, schwarze Tasche mit chirurgischen Instrumenten. Sie war sich offenbar ziemlich sicher, Sie mit bloßen Händen erledigen zu können.«
»Stark genug war sie«, bemerkte Overoy. »Das haben wir von ihren Arbeitgebern erfahren. Sie war auf gewalttätige Patienten spezialisiert, sozusagen. Sie konnte sie mühelos halten. Die Ärzte und die anderen Krankenschwestern waren froh, daß sie das für sie erledigte.«
»Und keiner von ihnen wurde mißtrauisch, als sie nach dem Brand einfach verschwunden ist?«
»Sie ist nicht verschwunden. Sie wurde sogar verhört. Sie stand auf unserer Liste. Die Überlebenden des Brandes, erinnern Sie sich? Nachdem sich die ganze Aufregung gelegt hatte, nahm sie ganz normal Urlaub. Sie war verrückt, aber nicht dumm.«
Er würde das alles später verstehen. Viel später. Im Augenblick hatte nichts von all dem, was sie ihm erzählten, sonderlich große Bedeutung für ihn. Er war bereits abgelenkt, als er die andere Stimme hörte, diese Stimme, die so vertraut und so willkommen war.
»Jon.« Amys Stimme.
Er sah an den beiden Detectives vorbei, und da war sie, nur ein paar Yards entfernt, und Paul Sebire war bei ihr und stütze sie. Besorgnis überschattete Sebires Gesicht. Er starrte ihn an.
Childes ging auf sie zu, ging auf Amy zu, und sie hob die Hände, und der Gips an ihrem verletzten Arm leuchtete bleich im
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