Moor
sondern schon immer ein wenig wie altes Blut; es wird Zeit, Dion, dass ich dir über all das endlich die Wahrheit sage. Sie sah dein misstrauisches Gesicht, löschte das Licht und ging ins Bad, wo du noch lange dem Plätschern aus der Wanne gelauscht hast, bis ich sie ins Wasser tauchte und dich in den Schlaf.
Du schreckst aus deinen Gedanken hoch. Sie steht schon bis zu den Hüften im Teich, planscht und schlingt die Arme um die Brust, die Einleitung zu ihrer Regenpantomime, wie du im Tagebuch das allmorgendliche Badetheater bei diesem Sauwetter nennst; was jetzt kommt, kennst du genauso auswendig wie deinen Vortrag, der, stellst du mit einem weiteren Blick auf die Uhr fest, in weniger als einer halben Stunde aus deinem Hirn auf die Zunge und hinaus in die Welt muss.
Im Kopf durchkämmst du das Referat noch einmal Satz für Satz nach Stotterfallen, streichst Konsonantenfolgen aus oder ersetzt sie durch vom Sinn her ähnliche Worte, an denen weniger Widerhaken drohen. Lässt dabei die Mutter nicht aus den Augen, lachst sogar zu ihr hin, bist ganz liebes Kind. Sie steckt sich das Haar mit der Spange hoch, was sinnlos ist, denn es klebt ihr bereits nass im Nacken. Gleichwird sie eintauchen und dabei die Mimose spielen, obwohl das Wasser vom Sommer noch wärmer ist als die Luft. Dann schwimmt sie mit Giraffenhals, wie um die Frisur zu schonen, eine Runde und zum Ufer zurück, wo du sie mit dem Schirm abholen und ihr den Bademantel reichen musst. Sie findet das lustig, dir kommt es kindisch vor, doch sie weiß, dass du ihr keine Bitte abschlagen kannst, wie heute Morgen, als sie dich doch noch rumgekriegt hat.
Hätte sie dich wenigstens einmal nach dem Referat gefragt. Das bevorstehende Morgenritual erschien dir jetzt lästig, lächerlich die Marotte, zu einer Zeit schwimmen zu gehen, wo andere frühstücken, noch schlafen oder schon arbeiten. Früher hast du geglaubt, dass der Teich deine Mutter verjüngt. Solange sie morgens zum Wasser ging, wurde es ein guter Tag, Gefahr drohte, wenn sie den Gang verschlief. Nach dem Baden war ihr Gesicht oft jugendlich und voller Lachen, an Schlaftagen zerknittert und kalt wie aus Stein. Du wolltest die junge Marga, die selbst beim Putzen kurze Röcke trägt; die steinerne macht dir auch heute noch Angst, sie hockt bis zum Abend im Stuhl, das Nachthemd klebt ihr am Leib wie eine Haut aus Schimmel, spinnwebenartig das ungekämmte Haar in der Stirn und die Augen dahinter wie von der Jesusfigur in der Kirche, die der Bildhauer auszupinseln vergessen hat. Die Steinmutter kocht keinen Allestopf, schmiert kein Pausenbrot, qualmt aus der Mundspalte und schluckt kieselgroße Tabletten. Du hievst die zum Grabmal gewordene Marga ins Bett, damit sie sich wieder lebendig schläft. Setzt ihre Füße zentimeterweise auf die Stufen und flehst, sie möge sich am Geländer festhalten, jetzt bloß nicht umkippen, denkst du, und zerschellen. Selbst das Wimmern aus ihrem Innern wird bei jedem Schritt schwerer, ist zuletzteher ein Knarren. Du schiebst und schwitzt, rollst die Mutter die Treppe hinauf wie Sisyphos den Fels auf den Berg. An Steintagen kann sie nicht zum Teich, sie würde auf der Stelle versinken, es bräuchte Seile, Winden und den Trecker, um sie wieder herauszuziehen, doch dann wäre es schon zu spät, also wickelst du den kalten Leib in die Decke.
Sie deutete zum Fenster und zupfte dich am Ärmel, wie immer, wenn du etwas für sie tun sollst, Rasenmähen, ans Amt schreiben oder ihr im Bett den Rücken massieren, abends, wenn sie aus der Werkstatt kommt und vom Starren und Stricheln ganz krumm ist. Kann ich nicht dableiben?, hast du erwidern wollen und schon am K von Kann gewürgt. Der Buchstabe K war schon immer dein größter Feind. Er ist so spitz, wie er aussieht, ein Vierzack mit scharfer Klinge, und in seinem unmittelbaren Gefolge steht das D, das so dick und rund daherkommt und dir doch im Hals feststeckt.
K und D am Anfang und Ende von Kann ich nicht dableiben lieferten sich in deinem Mund eine heillose Schlacht, metzelten alle noch so kampfbereiten Vokale und auch das furchtsame und wehrlose ich nieder, das sich zwischen ihre Front gewagt hatte. Du hast es hinuntergeschluckt und bist noch vor dem Ende des Satzes verstummt. Wenn K und D gemeinsam aufmarschieren, kannst du nur die Waffen strecken, zum Beispiel beim Aussprechen deines Namens: Dion Katthusen, ein Massaker, wenn Marga nicht zu Hause ist und du ans Telefon musst. Vorstellungsrunden wie zu Schuljahresbeginn oder in
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