Moorehawke 01 - Schattenpfade
Stücke gerissen.
Wynter keuchte und schwankte rückwärts, sie stieß mit den Beinen gegen die Stufen und fiel. Unerbittlich wälzte sich die Woge auf sie zu, und endlich drehte sie sich um und krabbelte die Treppe auf Händen und Knien hoch.
Die Kerze erlosch, die restlichen Stufen erklomm Wynter in tiefster Finsternis. Die oberste nahm sie wie ein Lachs, der sich ein Wehr hinaufkämpft, trat jedoch daneben und stürzte mit einem Schrei zu Boden. Der Aufprall nahm ihr die Luft, sie schürfte sich Kinn und Hände auf, als sie über die Steinfliesen
schlitterte. Schon scharrten ihre Füße nach Halt, tasteten die Hände in der Dunkelheit nach dem Weg. Sie kam auf die Beine, rannte geduckt einen Meter nach vorn und prallte mit dem Kopf voran gegen eine Mauer. Sterne und Funken blitzten vor ihren Augen auf, als sie zurückgeschleudert wurde. Ein paar unsichere Schritte, dann rannte sie erneut in die Schwärze.
Hinter ihr erblühte grünes Geisterlicht, und plötzlich sah sie den Weg hell vor sich, da sich das Leuchten die Stufen hinaufschob und weiter voranwälzte. Der Schlachtenlärm schwoll immer weiter an, das fortgesetzte Zischen der Musketen wühlte die Luft auf.
Wynter rutschte aus und fiel wieder zu Boden, krabbelte ein paar Schritte, bevor sie sich erneut aufrappeln konnte. Der Gang beschrieb eine Biegung, und sie fand sich in einem gewundenen Treppenschacht wieder, eng und stockfinster. Auf allen vieren kletterte und kletterte sie.
Hinter ihr erhellte grünes Licht bereits wieder den Gang. Die Stufen waren sehr hoch. Wynter zog sich weiter, immer noch auf den Knien. Mehr und mehr breitete sich das Leuchten aus, und sie schrie auf, als sie erkannte, dass sie nicht davor weglaufen könnte. Es kam um die Ecke! Es holte sie ein!
Ein schimmernder Fangarm schlang sich um ihren Knöchel, und Wynters Bein wurde taub.
Sie jammerte auf und fiel flach zu Boden, als ihr die Füße weggezogen wurden. Bauch und Brust schlugen hart auf der scharfen Kante einer Stufe auf. Das Gespensterfeuer umhüllte nun ihr anderes Bein, und die Betäubung schoss bis in ihr Knie empor. Mit weit aufgerissenen Augen und offenem Mund schleppte sich Wynter verzweifelt weiter nach oben, Hand für Hand. Ihre Beine waren abgestorben und nutzlos,
sie hörte die Spitzen ihrer Stiefel hinter sich von den Stufen abprallen.
Nach unten blicken konnte sie nicht, dazu war ihre Angst zu groß, doch sie spürte, wie ihre Taille kalt und gefühllos wurde. Plötzlich verkrampfte sich ihre Wirbelsäule, und ein Ruck durchfuhr ihren Bauch, als hätte ihr jemand einen Eiszapfen durch den Rücken getrieben. Vergeblich bemühte sie sich, weiterzukriechen, konnte sich aber nicht mehr hochziehen.
Nein! Nein! , dachte sie entsetzt. Ich will nicht sterben! Vater! Vater! Hilf mir!
Grüne Funken zeichneten die Umrisse ihrer ausgestreckten Hände nach und tanzten um ihre Fingerspitzen. Wynter fühlte ihre Brüste schmerzhaft über die steinernen Stufen schaben, während sie rückwärts in die summende, brennende Umarmung des Geisterleuchtens glitt.
»VAAAAAAATER!«
Da verlosch das grüne Licht, der Schlachtenlärm erstarb, und Wynter wurde mit dem Gesicht nach unten keuchend auf die rauen Stufen geworfen. Sie krümmte sich zusammen, wartete darauf, dass es wieder anfing; ihr Atem kam stoßweise, pfeifend. Doch die Welt blieb still, schwarz und kalt.
Langsam drehte sie die Wange auf den Stein, dann verharrte sie regungslos mit offenen Augen in der pechschwarzen Dunkelheit und horchte. Nichts. Kein Geisterlicht, kein Laut. Die Woge hatte ihre Kraft verloren. Wynter hatte überlebt.
Eine Zeit lang lag sie nur da, starrte in die Finsternis und wartete darauf, dass wieder Leben in ihre Beine strömte. Dann bewegte sie zaghaft die Finger auf dem rauen Untergrund und fand zu ihrem Erstaunen die Kerze neben sich. Sie schloss die Finger darum, tröstete sich mit ihrer warmen Festigkeit und zog sie dann vorsichtig zu sich heran, beugte den
Arm, bis sie das Wachs auf der Wange spürte. Nach und nach verlangsamte sich ihr Herzschlag. Sie nahm alle Kraft zusammen, um sich auf die Seite zu drehen.
Über ihr bewegte sich etwas auf der Treppe, doch Wynter war zu erschöpft, um Angst zu haben. Sie spürte es mehr, als dass sie es hörte: ein weiches Tapsen neben ihrem Gesicht. Sie schlug die Augen auf. »Katze?«, flüsterte sie.
»Ja.« Die Stimme klang dünner und erschrockener, als Wynter je eine Katzenstimme gehört hatte.
»Bist du … verletzt?«, fragte
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