Moorehawke 02 - Geisterpfade
Weich durchdrang seine Stimme das heftige Brüllen der Flammen, und die Liebe darin zerriss Wynter fast das Herz. Sie rückte näher an Christopher heran, hielt seine Hand noch ein wenig fester.
Ashkr beugte sich hinunter. »Sólmundr«, wiederholte er mit mehr Nachdruck.
Endlich riss sich Sólmundr von dem Sternenmeer über seinem Kopf los und wandte sich dem Gesicht zu, das er so sehr geliebt hatte. Sein Mund verzog sich zu einem matten Lächeln, er flüsterte etwas, das man nicht hören konnte. Ernst betrachtete Ashkr ihn und sank auf die Knie. »Sól, mo mhuirnín bocht …«
Sólmundrs Mundwinkel zuckten. Seine Augenlider sanken herab, und er schlug sie mühsam wieder auf, als kämpfte er darum, wach zu bleiben. Erneut wisperte er etwas, und Ashkr nickte und hielt die Finger ganz dicht an Sóls Haar, ohne ihn zu berühren.
Wie ungerecht , dachte Wynter. Wie unsagbar traurig, dass sie getrennt wurden . Unversehens musste sie an ihre Mutter und ihren Vater denken, an die so kurze Zeit, die sie gemeinsam verleben durften, bevor der Tod sie auseinanderriss. Sie hoffte, dass die beiden jetzt zusammen waren. Und sie hoffte inständig, dass ihres Vaters Geist nicht durch das Schloss wandelte als dünner Schatten seines einst so lebensfrohen Selbst, dazu verdammt, nichts als ein beharrlicher Schemen zu werden. Sie spähte zu Razi – ein Schatten zwischen Schatten, immer noch gebrochen vom Verlust Emblas – und verspürte überwältigende Angst, sie und Christopher könnten einander verlieren.
Sie blickte ihm ins Gesicht und wollte gerade seinen Namen flüstern, doch zu ihrem Erstaunen sah er weder Ashkr noch Sólmundr an. Er starrte in den Wald, und in diesem Moment durchlief ihn ein Ruck, seine Augen weiteten sich vor Zorn und Furcht. Wynter wirbelte herum.
Eine zweite Lichtsäule bewegte sich geschmeidig durch die finsteren Bäume auf sie zu. Ashkr bemerkte sie ebenfalls und lächelte. Er drehte sich zu Razi um. »Tabiyb«, sagte er. »Embla kommt zu Euch.«
»NEIN!«, heulte Christopher auf.
Jäh entstand ein Aufruhr, Männer und Frauen riefen durcheinander, und Christopher schwankte, er wusste nicht, ob er nach hinten springen und sein Schwert holen oder nach vorn stürmen und Razi beschützen sollte.
Da zückte Wynter schon ihren Dolch und rannte los, gefolgt von Christopher, der im Laufen sein Messer aus dem Stiefel zog. Laute Stimmen erhoben sich. Frangok, dann Hallvor. Úlfnaor schrie etwas. Man hörte das Klirren von Metall auf Metall, und Wynter ging unwillkürlich in Deckung.
Aus dem Augenwinkel sah sie Thoar nach seinem Schwert hechten und schwenkte in seine Richtung, doch zu ihrer Verblüffung sprang Hallvor ihm auf den Rücken und riss ihn zu Boden. Erschrocken schrie der rothaarige Krieger auf, und beide rollten ins Gebüsch und rangen miteinander um das Schwert. Laut brüllend kam Wari Hallvor zu Hilfe.
Nun stürzte Frangok voran, ein Messer in der Hand, den Blick auf Razi geheftet. Ehe Wynter ihr noch in den Weg treten konnte, warf Úlfnaor seinen schweren Arm zur Seite und traf Frangok mit voller Wucht an der Kehle. Der Hieb holte die große Frau von den Füßen, sie sank zu Boden und umklammerte würgend und keuchend ihren Hals.
Unterdessen hatte Surtr die Lichtung bereits zur Hälfte überquert, doch Christopher rannte pfeilschnell auf ihn zu. Ohne abzubremsen, schnellte er in die Luft und schleuderte seine Beine in einem seiner eindrucksvollen Sprungtritte empor. Er traf den Krieger an der Schulter, seine weichen Stiefel verursachten auf dem kräftigen Körper ein sattes Klatschen, dann knallten beide seitwärts in das aufwirbelnde Laub.
Neben Sólmundrs Füßen kamen sie zu liegen und rollten sofort voneinander weg. Surtr hieb mit dem Dolch nach
Christopher, und der konnte gerade noch seinen Leib zu einem Bogen wölben und entkam so mit knapper Not der schmalen Klinge. Wynter sah, dass die Spitze des Messers das Tuch von Christophers dunklem Hemd noch streifte, und ihr Herz setzte kurz aus.
Christopher rollte sich ab, Surtr rollte sich ab, und beide landeten auf den Knien, die Zähne gefletscht, die Klingen erhoben. Da kam Úlfnaors massige, dunkle Gestalt mit großen Schritten heran, drängte sich zwischen die beiden Männer und schlug Surtr die Waffe aus der Hand. Wynter konnte noch einen Blick auf Surtrs entsetzte Miene erhaschen, ehe Úlfnaor ihm vor die Brust trat und ihn damit zu Boden schleuderte. Dann lag Surtr ausgestreckt auf dem Rücken, und Úlfnaor ragte über ihm
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