Moorseelen
sich in einer letzten Anstrengung an die Zweige krallen, ehe der Winterwind sie losreißen und mit sich tragen wird. Gleich kommt Nick auf einen Kaffee vorbei. Ich würde nicht sagen, dass wir inzwischen beste Freunde sind, aber ich bin dabei, mich an seine Witze zu gewöhnen. Auch wenn sie reichlich schräg sind, wie der, den er neulich zum Besten gab:
»Warum gehen Ameisen nicht in die Kirche? Weil sie ›In-Sekten‹ sind!«
Ich verdrehe dann die Augen, bin aber froh, dass wenigstens er seine Zeit in der Oase unbeschadet überstanden hat. Zum Glück war seine Verletzung nicht so schlimm gewesen, wie das viele Blut in seinem Gesicht zuerst befürchten ließ. Obwohl er seinen Eltern einiges zu erklären hatte, unter anderem, wieso er gefesselt in einem Auto mitten im Spreewald gelegen hatte, statt im Zelt an der Ostsee Ferien zu machen.
»In Wahrheit halten mich meine Alten für einen edlen Ritter, der dich beschützt hat«, war sein Kommentar. Und in gewisser Weise hat er recht. Auch wenn er mir nicht das Leben gerettet hat, dann zumindest meine Seele.
Insgeheim bin ich sogar dankbar für seine Scherze, denn damit mindert er auch meinen Schrecken über diese Zeit. Allerdings würde ich ihm das niemals sagen, sonst bildet er sich gleich was ein. Für die Gefühle, die Nick sich von mir wünscht, ist es noch viel zu früh. Zuerst muss ich die Vergangenheit begraben. Meine Gedanken wenden sich von Nick ab, sie fliegen über die Hausdächer, den Fluss und die Baumwipfel bis sie zwischen dunklen Stämmen auf weichem Waldboden landen. Ich sehe die schmalen Wasserarme der Fließe die Landschaft des Spreewalds durchziehen. Irgendwo dort befindet sich der Moorsee und ein Stück weiter drängen sich hinter einem weiß gestrichenen Gatter einige flache Häuser. Denn die Oase existiert weiter. Auch das weiß ich von Wiesmüller. Daher meide ich bestimmte Teile der Stadtparks und des Spreeufers. Zu groß ist meine Angst, plötzlich Lukas, Bidu, Juli oder Irina gegenüberzustehen. Ich könnte ihnen nicht in die Augen sehen. Denn dort würde ich nichts als Leere entdecken.
Ich hoffe, sie werden irgendwann erkennen, dass sie sich in einem Spiegelkabinett mit lauter Zerrspiegeln befinden.
Ich hoffe, Jaron darf bei Mias Eltern bleiben.
Ich hoffe, dass Zeno und Deva vor Gericht zur Rechenschaft gezogen werden, damit sie nicht noch mehr verlorene Seelen in ihr klebriges Netz aus Lügen, Abhängigkeit und falschen Versprechungen locken.
Ich hoffe.
ENDE
ICH DANKE …
Hannes für Ansporn, Zuspruch und weil er mich auch an Tagen der Seelenfinsternis zum Lachen bringt. Monika, die den Menschen ins Herz blickt und mir eine so wunderbare Freundin und Ratgeberin ist. Anja Koeseling von Scriptzz, oft (m)ein Fels in der Brandung. Dipl.-Psychologe Dieter Rohmann, der mir als Fachmann für Sektenaussteiger viele wertvolle Tipps für dieses Buch gegeben hat. Karolin Krocker von der Münchner Rechtsanwaltskanzlei Hensche für die juristische Beratung. Und dem Ueberreuter Verlag sowie meinem Lektor Bernd Stratthaus danke ich für die konstruktive und offene Zusammenarbeit.
Heike Eva Schmidt
wurde in Bamberg geboren und lebt heute in der Nähe von München. Schon in der Grundschule begann sie, heimlich Geschichten zu erfinden und aufzuschreiben. Zwanzig Jahre später erhielt sie ein Stipendium an der Drehbuchwerkstatt München und arbeitet seitdem als Journalistin und Drehbuchautorin.
Vollständige E-Book-Ausgabe der 2012 im Ueberreuter Verlag erschienenen Buchausgabe.
ISBN E-Book 978-3-7641-9010-1
ISBN Printausgabe 978-3-8000-5724-5
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