MoR 01 - Die Macht und die Liebe
Wasser getrunken.
Marius bemerkte, daß Julia ihn beim Hinausgehen mit offensichtlicher Sympathie anlächelte. Sie hatten während des Essens höfliche Worte gewechselt, aber in seine Gespräche mit ihrem Vater hatte Julia sich nicht eingemischt. Trotzdem hatte sie nicht gelangweilt gewirkt, sondern die Gespräche verständig und interessiert verfolgt. Ein ganz reizendes Mädchen, fand Gaius Marius.
Die kleine Julilla dagegen war ein rechter Kobold - sicher niedlich, aber wahrscheinlich auch ziemlich anstrengend. Sie war verwöhnt und eigenwillig und wußte genau, wie sie Eltern und Geschwister um den Finger wickeln konnte. Und irgend etwas an ihr störte Marius. Irgend etwas an ihr stimmte nicht. Er zuckte in Gedanken die Schultern und verbannte das Problem aus seinem Kopf. Schließlich ging es ihn nichts an.
Die beiden jungen Männer blieben noch etwa zehn Minuten, dann entschuldigten auch sie sich und gingen. Die Dunkelheit war schon hereingebrochen, in den Wasseruhren tropften die Nachtstunden dahin, doppelt so viele an der Zahl wie die Stunden, in denen es hell war. Es war Winter, und der Kalender stimmte ausnahmsweise einmal mit der Jahreszeit überein, dank des pedantischen Pontifex Maximus Lucius Caecilius Metellus Delmaticus, der glaubte, daß Datum und Jahreszeit einander entsprechen müßten - ein typisch griechischer Gedanke. Denn was machte es schon für einen Unterschied? Schließlich konnte man sehen und fühlen, welche Jahreszeit gerade herrschte, und der offizielle Kalender auf dem Forum Romanum informierte über Monat und Tag.
Als die Diener die Lampen anzündeten, bemerkte Marius, daß das Öl von allerbester Qualität war und die Dochte nicht aus grobem Zeug gewirkt, sondern aus Leinen gewebt waren.
»Ich lese viel«, sagte Caesar, der Marius’ Blick gefolgt war und seine Gedanken mit derselben unheimlichen Genauigkeit zu deuten verstand wie am Vortag auf dem Kapitol, als sich ihre Blicke getroffen hatten. »Außerdem schlafe ich leider nicht sehr gut. Vor Jahren, als die Kinder erstmals alt genug waren, am Familienrat teilzunehmen haben wir beschlossen, daß sich jeder etwas Besonderes wünschen dürfe, vorausgesetzt, es war erschwinglich. Soweit ich mich erinnere, hat sich Marcia einen Meisterkoch gewünscht - aber da wir von diesem Wunsch alle profitierten, beschlossen wir, daß sie einen neuen Webstuhl bekommen sollte, das neueste Modell aus Patavium, und dazu immer das Garn, das sie sich wünschte, auch wenn es teuer war. Sextus hat sich gewünscht, mehrmals im Jahr die Feuerkrater bei Puteoli zu besuchen.«
Ein sorgenvoller Ausdruck trat in Caesars Augen, und er seufzte tief. »Die Julier vererben seit je bestimmte Eigenschaften auf ihre Kinder. Die bekannteste - abgesehen von unserer hellen Hautfarbe - ist die Sage, daß jede Julia mit der Fähigkeit geboren wird, ihren Mann glücklich zu machen. Das ist ein Geschenk unserer Urmutter, der Göttin Venus, die mit ihren Geschenken freilich nicht allzu viele Menschen glücklich gemacht hat. Jedenfalls gibt es diese Sage über die julischen Frauen. Unser Geschlecht ist aber auch noch mit anderen, weniger glücksbringenden Geschenken bedacht worden, etwa mit dem, was unser armer Sextus geerbt hat. Ich bin sicher, du kennst die Krankheit, an der er leidet: die Kurzatmigkeit. Wenn er einen seiner Anfälle bekommt und nach Luft ringt, hört man es durch das ganze Haus. Manchmal läuft er blau an. Wir haben ihn schon einige Male fast aufgegeben.«
Das also war es, was dem jungen Sextus im Gesicht geschrieben stand! Er litt an Kurzatmigkeit, der Arme. Das würde zweifellos seine Karriere behindern.
Marius nickte. »Ich kenne die Krankheit. Mein Vater sagt, daß sie zur Heuernte und im Sommer, wenn alles blüht, am schlimmsten ist und daß sich Menschen, die unter dieser Krankheit leiden, von Tieren, vor allem von Pferden und Hunden, fernhalten sollen. Wenn er seinen Militärdienst ableistet, geht er am besten zur Infanterie.«
»Er hat das schon selbst herausgefunden.« Wieder seufzte Caesar.
»Aber erzähle weiter, was deine Kinder sich gewünscht haben, Gaius Julius.« Marius war fasziniert von der Vorstellung eines Familienrates, von so viel Demokratie. Merkwürdige Leute, Julius Caesar und seine Familie! Von außen betrachtet überkorrekte Patrizier und Stützen der Gesellschaft, bei genauerem Hinsehen aber erstaunlich unkonventionell.
»Nun, der kleine Sextus wünschte sich die Besuche bei den Feuerkratern, weil die Schwefeldämpfe
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