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MoR 01 - Die Macht und die Liebe

MoR 01 - Die Macht und die Liebe

Titel: MoR 01 - Die Macht und die Liebe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Colleen McCullough
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das letzte, mit einem Betäubungsmittel vermischte Futter verweigert hatte. Die Senatoren schüttelten die Köpfe: Dies würde kein gutes Jahr werden. Schlechte Vorzeichen bei der Nachtwache der Konsuln, schreckliches Wetter, und nun schnaubte und bockte auch noch das erste Opfertier. Die Altardiener, ein halbes Dutzend an der Zahl, hatten Mühe, den Stier an Hörnern und Ohren festzuhalten. Dummköpfe, dachte Gaius Marius, hätten sie ihm doch vorsichtshalber einen Ring durch die Nase gezogen. Der Akoluth mit dem Betäubungshammer, bis zur Hüfte nackt wie die anderen Diener, wartete nicht mehr, bis der Stier den Kopf zum Himmel erhoben und wieder zur Erde geneigt hatte. Später konnte man immer noch sagen, das Tier habe den Kopf im Todeskampf unzählige Male gehoben und gesenkt. Er trat vor und schwang seine eiserne Waffe blitzschnell auf und nieder. Dem dumpf knallenden Schlag folgte unmittelbar darauf ein zweiter. Die Vorderläufe des Stiers knickten ein, dann krachte er mit seinem ganzen Gewicht von sechzehnhundert Pfund aufs Pflaster. Der halbnackte Schlächter versenkte sein zweischneidiges Schwert im Nacken des Tieres, und das Blut spritzte nach allen Seiten. Ein Teil wurde in den Opferschalen aufgefangen, das meiste floß als dampfender, klebriger Strom über das aufgeweichte Erdreich und vermischte sich dort mit dem Regen.
    Wie sehr sich doch beim Anblick von Blut der wahre Charakter eines Mannes offenbart, dachte Gaius Marius. Mit einem distanzierten Lächeln auf den Lippen beobachtete er, wie ein Senator hastig zur Seite sprang, ein anderer gleichgültig mit dem linken Schuh im Blut versank und ein dritter zu verbergen versuchte, daß ihm speiübel war.
    Dann fiel ihm ein Mann auf, der am Rand des Ritterzuges stand, ein junger, aber bereits voll ausgewachsener Bursche, gekleidet in eine Toga, jedoch ohne den ritterlichen Streifen auf der rechten Schulter der Tunika. Er stand erst seit kurzem dort, und jetzt wandte er sich auch schon wieder dem steilen Weg zu, der vom Clivus Capitolinus zum Forum hinabführte. Ehe er sich abwandte, sah Gaius Marius freilich noch, wie er mit seinen blitzenden grauweißen Augen gierig den Anblick des frischen Blutes verschlang. Gaius Marius war sicher, daß er den Burschen noch nie zuvor gesehen hatte. Ein Gesicht von zugleich femininer und maskuliner Schönheit, und dann diese erstaunlichen Farben! Die Haut weiß wie Milch, die Haare rotgolden wie die aufgehende Sonne. Apollo in Menschengestalt. Sollte er es gewesen sein? Nein. Ein Gott hatte nicht solche Augen. Aus diesen Augen sprach viel Leid, und ein Gott brauchte doch nicht zu leiden.
    Der zweite Stier hatte zwar mehr Betäubungsmittel gefressen, er wehrte sich aber trotzdem, sogar noch heftiger als sein Vorgänger. Der Hammerschläger verfehlte sein Opfer, und die rasende Kreatur stürzte sich in blinder Wut auf ihn. Geistesgegenwärtig packte jemand den Stier an den pendelnden Hoden, und diesen Augenblick des Erstarrens nutzten die beiden Schlächter, der Hammerschläger und der Mann mit der Axt, um gemeinsam erneut zuzuschlagen. Der Stier brach zusammen, und das Blut spritzte zwanzig Schritt weit und traf auch die beiden Konsuln. Spurius Postumius Albinus und sein seitlich hinter ihm stehender jüngerer Bruder Aulus wurden von oben bis unten mit Blut besudelt. Gaius Marius musterte den Konsul von der Seite und grübelte, was dieses Omen bedeuten mochte. Auf Rom kamen böse Zeiten zu, kein Zweifel.
    Jenes unwillkommene Gefühl der Überlegenheit begleitete ihn auch jetzt, ja, es war in der letzten Zeit sogar noch stärker geworden, so als stünde der entscheidende Augenblick unmittelbar bevor. Der Augenblick, da er, Gaius Marius, der Erste Mann von Rom werden würde. Sein gesunder Menschenverstand - und daran mangelte es ihm nicht - schrie ihm zu, daß dieses Gefühl falsch sei, eine Falle, die Schande und Verderben über ihn bringen werde. Aber das Gefühl ließ sich nicht verscheuchen. Lächerlich! sagte die Vernunft in ihm. Er war jetzt siebenundvierzig Jahre alt. Bei der Wahl zum Prätor vor fünf Jahren hatte er die wenigsten Stimmen bekommen. Er war zu alt für das Konsulat, seine Herkunft stand ihm im Weg, und er hatte keine Anhänger. Seine Zeit war vorbei. Vorbei!
    Endlich begann die Amtseinführung der Konsuln. Lucius Caecilius Metellus, ein affektierter Trottel, der sich Pontifex Maximus nennen durfte, leierte die abschließenden Gebete herunter, und gleich nach den Gebeten würde Minucius Rufus, der

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