MoR 01 - Die Macht und die Liebe
ältere der beiden Konsuln, den Herold beauftragen, den Senat im Tempel des Jupiter Optimus Maximus zusammenzurufen. Die Senatoren würden festlegen, wann die feriae latinae in den Albaner Bergen stattfinden sollten, debattieren, in welche Provinzen neue Statthalter entsandt werden mußten, und die Provinzen durch Los auf die Prätoren und Konsuln aufteilen. Ein egoistischer Volkstribun würde das Volk in den höchsten Tönen preisen, und Scaurus würde den dreisten Narren wie einen Käfer zertreten. Ein anderer eingebildeter Caecilius Metellus würde sich endlos über den Verfall von Sitte und Moral in der jüngeren Generation ereifern, bis er durch Zurufe zum Schweigen gebracht würde. Es war immer dasselbe: Senat, Volk, Rom, Gaius Marius. Siebenundvierzig Jahre alt. Bald würde er siebenundfünfzig sein, dann siebenundsechzig, und dann würde man seine Leiche auf dem Scheiterhaufen aufbahren, und er würde sich in Rauch auflösen. Das war dann das Ende von Gaius Marius, dem Emporkömmling aus den Schweineställen Arpinums, der kein echter Römer war.
Der Herold rief die Senatoren zur Sitzung. Seufzend machte sich Gaius Marius auf den Weg. Wie gern hätte er seine Wut jetzt an jemandem ausgelassen, wäre er auf jemandem herumgetrampelt. In diesem Moment traf sein Blick den des Gaius Julius Caesar, der lächelte, als wisse er genau, was in Gaius Marius vorging.
Irritiert starrte Gaius Marius ihn an. Dieser Julius Caesar war jetzt, da sein Bruder Sextus tot war, der älteste Sproß der Caesarenfamilie im Senat, und er vertrat dort eine eigenständige Meinung, auch wenn er nur ein Hinterbänkler war. Hochgewachsen und breitschultrig, hielt er sich kerzengerade wie ein Offizier, und sein feines, silbermeliertes Haar umrahmte ein von Furchen durchzogenes edles Gesicht. Er war nicht mehr jung, sicher über fünfundfünfzig, sah aber aus, als würde er einmal zu jenen unverwüstlichen Mumien gehören, die die Aristokratie mit so schöner Regelmäßigkeit hervorbrachte und die noch jenseits der Neunzig zu jeder Senats- und Volksversammlung schwankten, um dort goldene Worte der Vernunft zu sprechen. Die Sorte, die auch mit einem Opferbeil nicht totzukriegen war und die letzten Endes Rom zu dem gemacht hatte, was es war, trotz der zahllosen Priester vom Schlage eines Caecilius Metellus. Besser als der ganze Rest der Welt.
»Welcher Metellus wird uns heute mit seinen Worten beglücken?« fragte Caesar, als sie nebeneinander die Stufen zum Tempel hinaufstiegen.
»Einer, der sich seinen Namen erst verdienen muß«, antwortete Gaius Marius. Seine gewaltigen Augenbrauen zuckten auf und ab wie auf Nadeln gespießte Tausendfüßler. »Quintus Caecilius Metellus, der kleine Bruder unseres verehrten Pontifex Maximus.«
»Wieso er?«
»Weil er nächstes Jahr für das Konsulat kandidieren will, soviel ich weiß. Da will er sich jetzt schon ein bißchen ins Gespräch bringen.« Gaius Marius trat zur Seite, um dem älteren Caesar den Vortritt in das irdische Domizil des großen Gottes Jupiter Optimus Maximus zu lassen.
Caesar nickte. »Du hast wohl recht.«
Der große Saal in der Mitte des Tempels wurde vom trüben Licht draußen nur spärlich erhellt, aber das ziegelrote Gesicht der Götterstatue leuchtete gleichsam aus sich heraus. Die Statue war uralt, der berühmte etruskische Bildhauer Vulca hatte sie vor vielen hundert Jahren aus Terrakotta geformt, und im Lauf der Zeit hatte man sie mit einem elfenbeinernen Gewand, goldenen Haaren, goldenen Sandalen und einem goldenen Blitzstrahl geschmückt. Sogar Arme und Beine hatte man mit einer silbernen Haut überzogen, Finger und Zehennägel waren aus Elfenbein, und nur das Gesicht wahrte noch die ursprüngliche Farbe des rauhen, erdigen Tons. Es war bartlos, nach der Mode, die die Römer von den Etruskern übernommen hatten. Die aufeinandergepreßten Lippen waren zu einem idiotischen Grinsen verzerrt, das fast bis zu den Ohren reichte und den Gott aussehen ließ wie einen Vater, der verzweifelt bemüht ist, über die Untaten seiner Kinder hinwegzusehen.
An den großen Tempelsaal schloß sich zu beiden Seiten ein weiterer Raum an, links der Tempel der Minerva, der Tochter des Jupiter, rechts der seiner Frau Juno. In beiden Tempeln waren herrliche Statuen der Göttinnen in Gold und Elfenbein aufgestellt und daneben jeweils ein weiteres Götterbild. Als nämlich der Tempel erbaut worden war, hatten sich zwei der alten Götter geweigert auszuziehen, und so hatten die Römer alte und
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