Morbus Dei: Die Ankunft: Roman (German Edition)
deutlich fühlen – etwas war hinter ihnen her, und es kam rasch näher.
Johann rannte Albin hinterher, der hatte den Rand des Waldes schon erreicht. Die Schritte kamen näher, Johann spürte jemanden in seinem Rücken atmen, etwas griff nach ihm – dann hatte er den Wald hinter sich gelassen und stand in der Wiese, im gleißenden Sonnenlicht. Vitus war noch da, er hatte sich hinter dem Kadaver der Kuh tief in den Schnee geduckt.
Schwer atmend blickte Johann in die Dunkelheit des Waldes zurück.
Nichts war zu sehen.
Plötzlich bekam er einen Schlag auf die Schulter, der ihn taumeln ließ.
„Na, du Idiot, was hab ich dir gesagt? Wir hätten beide draufgehen können.“ Albin war die Panik ins Gesicht geschrieben.
Johann blickte ihn an, noch immer außer Atem. „Beruhig dich. Ist ja gut gegangen.“ Er machte eine Pause. „Wer –“
„Ich sag kein Wort mehr. Und jetzt komm, wir müssen zurück.“ Albin schüttelte verärgert den Kopf und ging los, die Wiese hinab.
Johann blieb zurück, starrte in den Wald.
Vitus tollte übermütig neben Albin durch den Schnee. Das Bellen des Hundes riss Johann aus seinen Gedanken.
Langsam stapfte er den beiden hinterher.
XIV
Sophie hockte auf ihrem Melkschemel und weinte hemmungslos. Ausgerechnet das Stanzerl. Sie hatte sie von Geburt an aufgezogen, sich für sie verantwortlich gefühlt. Jeden Abend hatte sie noch einen Blick in den Stall geworfen, ob alles in Ordnung war, aber gestern hatte sie sich nicht wohl gefühlt und war deshalb vorzeitig zu Bett gegangen.
Dass dies keinen Unterschied gemacht hätte, konnte sie nicht wissen. Ebenso wenig, dass Johann und Albin die Kuh bereits gefunden hatten.
Eines der Kätzchen kam angetappst und schmiegte sich um ihre Füße. Sophie nahm es und drückte es an sich. Das schnurrende Fellbündel tröstete sie ein wenig.
Plötzlich schaute Elisabeth durch die Stalltür. „Sophie?“
Sophie wischte sich hastig die Tränen ab und stand auf. „Kann ich Euch was helfen?“
„Ach, Sophie.“ Elisabeth ging zu ihr hin und nahm sie in die Arme. „Vielleicht finden sie das Stanzerl ja doch.“
Sophie schüttelte den Kopf. „Ihr wisst, dass das nicht passieren wird. Wen
sie
holen, der bleibt auch fort.“
Dem konnte Elisabeth nicht widersprechen. Aber sie konnte zumindest versuchen, ihre Magd aufzuheitern. „Dann ist sie bestimmt schon im Milchhimmel.“
Sophie stieß ein gepresstes Lachen hervor. „Ich dank Euch.“
Elisabeth löste sich von ihr und ging zur Stalltür. „Komm dann hinüber, wir müssen das Essen zubereiten.“ Sie drehte sich in der Tür noch einmal um. „Sophie?“
Diese blickte auf.
„Der Johann …“ Elisabeth haderte mit den Worten.
Sophie verstand. „Kenn mich schon aus, keine Sorge.“
„Danke, Sophie.“ Elisabeth verließ den Stall.
Am Abend wusste jeder im Dorf von der geschlachteten Kuh, die Johann und Albin vor dem Wald gefunden hatten. In der Dorfschenke saßen Jakob Karrer, sein Bruder Franz, Benedikt Riegler, der Pfarrer Kajetan Bichter und Alois Buchmüller an dem großen Tisch in der Mitte des Raumes zusammen.
Sie schwiegen, lauschten dem Knistern des Feuers.
Dann ergriff Riegler das Wort. „Bei der Kälte wundert’s mich, dass sie nicht schon früher gekommen sind. Ich sag’s euch – das wird der härteste Winter seit Jahren.“
„Aber ausgerechnet mein Viech!“, stieß Jakob Karrer wütend hervor.
Bichter sah ihn fassungslos an. „In Gottes Namen! Wegen der einen Kuh wirst schon nicht verhungern, Karrer! Wenn ihr das ganze Jahr über nicht so auf euren Vorräten hocken würdet –“
„Soll’n wir diese Teufel vielleicht noch durchfüttern?“, fiel ihm Karrer scharf ins Wort.
„Ein wenig Barmherzigkeit würd euch allen nicht schaden. Immerhin hat der Herrgott uns alle geschaffen!“
Jakob Karrer stand die Verachtung ins Gesicht geschrieben. „Dein Mitleid mit
denen
hab ich noch nie verstanden, Pfarrer.“
„Und so, wie’s ausschaut, wirst du das auch nie. Wird keiner von euch!“, sagte der Pfarrer laut.
Die anderen am Tisch blickten ihn verständnislos an.
Kajetan Bichter trank seinen Bierkrug in einem Zug aus und stand abrupt auf. Die Runde sah ihn entgeistert an, in Erwartung, was nun kam. Dann sprach der Pfarrer mit gehaltvoller Stimme: „Liebet eure Feinde; tut denen wohl, die euch hassen.“
Er stellte den leeren Krug ab und fuhr nach einer kurzen Pause leiser fort: „Lukas, Kapitel 6, Vers 27. Einen schönen Advent wünsch ich, meine
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