Expect nothing!: Die Geschichte einer ungezähmten Frau (German Edition)
Vorwort
Expect nothing – der Titel klingt wie eine Songzeile. Das passt auch irgendwie zu meinem Leben, in dem Musik immer eine große Rolle gespielt hat. Tatsächlich ist dieser Satz eigentlich ein Zitat, das mir einmal in einem alten Haus in Topanga begegnete und im Lauf der Zeit zu einer Art Lebensmotiv für mich geworden ist.
Die erste Hälfte meines Lebens war nach »normalen« Maßstäben ziemlich unberechenbar, wild, voller Verrücktheiten, Spaß, Glamour, Exzessen, Höhepunkten, Abstürzen, ja, und manchmal auch gefährlich. Jedenfalls nie langweilig.
Nicht zu der Zeit, als ich als Model unglaublich gefragt war, als ich mit Langhans in der Kommune lebte, als ich die besten Musiker der damaligen und vielleicht auch noch heutigen Zeit traf und manche auch liebte, als ich jede Droge ausprobierte und das Leben eine Riesenparty war.
Auch nicht zu der Zeit, als ich mit meinem Lebensgefährten Dieter Bockhorn in unserem legendären Bus auf den Hippie-Trails die Welt bereiste und mit ihm schließlich Deutschland ganz den Rücken kehrte, um in Amerika zu leben. Nichts sollte uns aufhalten, unser Leben verlief ohne Plan. Ein Netz aus Freundschaften wollten wir über den Planeten spinnen. Der einzige Plan war vielleicht der, dass wir niemals einen haben wollten, und dafür jeden Tag unsere Freiheit, die Liebe und das Leben feierten.
Am 31. Dezember 1983 raste Bockhorn auf seinem Motorrad in den Tod. Damit endete nicht nur sein Leben, auch meines brach in Stücke. Von einem Moment auf den anderen veränderte sich alles. Es war, als wollte mich das Schicksal jetzt auf die Nagelprobe stellen. Schaffte ich es, allein, ohne Geld, ohne Beschützer am anderen Ende der Welt durchzukommen? Ich war nicht nur über Nacht »Witwe« geworden und musste diesen Schock bewältigen, sondern hatte das letzte, einzige, zerbrechliche Stück Sicherheit in meinem sonst so freien Leben verloren – meinen Gefährten.
Doch tatsächlich: Ich schaffte es. Obwohl ich nach allem menschlichen Ermessen am absoluten Nullpunkt angelangt war, ging es in den nächsten Jahren irgendwie weiter, nicht immer sonderlich spektakulär, aber doch ganz besonders, auf meine Weise eben – on my way. Ich lernte, machte Erfahrungen und vertraute dabei völlig meiner Intuition und dieser »Weisheit«, die auf die Tür zu meinem neuen Leben geschrieben stand, dem Platz, an dem ich nach meinen Wanderjahren sesshaft wurde: Expect nothing – »Erwarte nichts«.
Dieser Satz handelt von nichts anderem als vom Hinfallen und Immer-wieder-Aufstehen, vom Finden meines Selbst und dem Wunsch, nicht nur mir selbst, sondern auch anderen Inspirationsquelle und Glücksbringerin zu sein.
Topanga, im Sommer 2013
Uschi Obermaier (© Peter Lindbergh)
In der Nacht zuvor …
… hat es geregnet (!). Als wir jetzt am frühen Nachmittag am Mulholland Drive aussteigen und uns mit den Hunden zum Canyon auf den Weg machen, ist die Luft fast noch ein wenig feucht. Während La Luz und Razzo begeistert im Gebüsch herumstromern, schnaufen wir den Hang hinauf und unterhalten uns über Freundinnen und Weggefährtinnen Uschis und was ihre Karrieren und Lebensläufe aktuell so machen. Während uns zwei knackige Joggerinnen in Pink und Türkis munter miteinander plaudernd überholen, philosophieren wir über das Altern und ob das tatsächlich würdevoll geht in Zeiten, in denen schon Zwanzigjährige an sich herumschnipseln lassen, um sich entweder besser zu fühlen oder nicht negativ aufzufallen. Joggen ist natürlich auch eine Alternative, auch wenn wir uns einig sind, dass gelegentliche Spaziergänge definitiv die entspanntere Variante sind. Außerdem findet Uschi, dass es für sie völlig reicht, wenn sie morgens ihre Auffahrt zum Zeitungholen runter- und wieder raufläuft. Die Auffahrt ist tatsächlich ziemlich steil. Dann geht es kurz um Mariel Hemingway, die offenbar würdevoll auf ihrer Farm in Idaho altert und immer noch gut aussieht, und auch über Jane Fonda, deren Chirurg wirklich Eindrucksvolles geleistet hat. Noch ein Schnaufer: »Ageing ungracefully, das ist es eigentlich«, meint Uschi noch, und plötzlich holen wir tief Luft und treten aus den Bäumen hervor auf ein Plateau, von dem aus sich ein spektakuläres Rundum-Panorama entfaltet. Unter uns liegt befreit vom Weichzeichner des sonst allgegenwärtigen Smogs die Stadt der Engel mit ihrer geschwungenen Küstenlinie, wie sie sich weit bis zu den jetzt schneebedeckten San-Bernardino-Bergen über die Hügel hinwegkrakt.
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