Morbus Dei: Die Ankunft: Roman (German Edition)
stürzte auf Johann zu und umarmte ihn stürmisch. Die Dorfbewohner folgten ihr, blieben aber in einem gewissen Abstand zu den beiden stehen.
„Johann! Ich bin so froh, dass du –“
Dann fühlte sie die klebrige Nässe an ihren Händen. Sie starrte auf ihre Handflächen, die voller Blut waren. „Was –“
„Ist schon in Ordnung, nur ein paar Kratzer.“ Johann hustete bei diesen Worten.
Elisabeth realisierte erst jetzt die Blässe in seinem Gesicht, die blutunterlaufenen Augen und die Falten, welche sich tief in sein Gesicht gruben, jedoch am Morgen noch nicht da gewesen waren.
„Komm mit, ich werd dich versorgen.“
„Wart noch.“ Er nahm ihren Arm. „Elisabeth, ich – ich muss euch noch etwas sagen.“
Er wandte sich um, sah den kläglichen Rest der Bevölkerung des Dorfes vor ihm stehen. Er sah die Väter, Mütter, Söhne und Töchter derer, die oben in den Gewölben geblieben waren, sah in ihre erwartungsvollen Gesichter. Sein Mund war auf einmal staubtrocken, er schluckte, haderte mit den Worten.
In diesem Moment kam Sophie auf sie zugelaufen. Ihre Schritte wurden jedoch langsamer, je näher sie kam und je deutlicher sie erkennen konnte, dass außer Johann niemand zurückgekommen war.
Auch Gottfried nicht.
Mit weichen Knien blieb Sophie bei den anderen stehen. Aber sie wusste es bereits. Wie hatte sie nur glauben können, dass sich diesmal etwas für sie zum Guten gewendet hätte? Tiefe Trauer überfiel Sophie, schien sie innerlich zu zerreißen, aber sie konnte nicht einmal weinen.
Johann riss sich zusammen und wollte gerade sprechen, als ihm die alte Salzmüller zuvorkam.
„Keine langen Reden, Schmied. Wo sind die Mander?“
Johann blickte der Alten ins Gesicht, sah den letzten Funken Hoffnung erlöschen. Ihm fehlten die Worte.
„Hat irgendwer überlebt?“, ächzte sie leise.
Er schüttelte schweigend den Kopf.
Dieses Schweigen traf Elisabeth und die anderen wie ein Donnerschlag, es schrie den endgültigen Verlust wie aus voller Kehle heraus. Einige Frauen begannen zu weinen, andere pressten die Lippen zusammen und umarmten ihre Kinder.
Die Alten umklammerten ihre Gehstöcke, sie wussten, dass ihre Zeit gekommen war. Wie töricht waren sie doch gewesen zu glauben, dass so eine Schuld ungesühnt bleiben würde.
Trauer und Verzweiflung machten sich unter den Letzten des Dorfes breit, ihre Klagelaute hallten über Schneefelder und Wiesen und wurden schließlich von den Wäldern verschluckt …
Johann umarmte Elisabeth, die in seinen Armen schluchzte.
„Was sollen wir denn jetzt machen?“, erklang die verzweifelte Stimme von Anna Riegler, der Frau von Benedikt Riegler. „Wie sollen wir überleben?“
Sag es ihnen. Zum Schweigen ist noch genug Zeit danach
.
„Hört her!“ Johann erhob seine Stimme. Was er ihnen jetzt noch zu sagen hatte, fiel ihm kaum leichter, aber er musste es tun. Da ihn niemand beachtete, ließ er Elisabeth los und klatschte in die Hände. „Hört mich an!“
Erschrocken starrten sie zu Johann.
„Wir müssen das Dorf sofort verlassen. Alle.“ Er machte eine Pause. „Sie werden kommen, um ihre Vergangenheit endgültig auszulöschen. Und damit eure Zukunft.“
„Woher willst du das wissen?“, flüsterte Elisabeth.
„Genau, woher? Wir können nicht einfach gehen!“, schrie Anna Riegler hysterisch. „Das ist trotz allem unser Zuhause, Schmied!“
Johann sah über das Dorf in die düsteren Berge hinauf. Als er anhob zu sprechen, war es auf dem Dorfplatz totenstill.
„Ich weiß es, weil – ich es an ihrer Stelle tun würde.“
Als er sie anblickte, aus seinem abgekämpften Gesicht, über das dünne Blutfäden liefen, mit den müden Augen, die so vieles gesehen hatten – da glaubten sie ihm.
XXXIX
Der beißende Gestank nach Rauch und verbranntem Fleisch hing in der unterirdischen Halle. Ruhig stieg Anselm über die Leichen der Bauern und Soldaten, die noch am Boden lagen. Ihre eigenen Toten und Verwundeten hatten sie bereits weggeschafft. Als Anselm die schmerzverzerrten Gesichter am Boden sah, fuhr ihm ein Stich ins Herz.
Gerechtigkeit
.
Aber um welchen Preis?
Justitia
.
Waren sie letztendlich doch zu den Bestien geworden, die man sie so lange geheißen hatte?
Anselm hörte ein leises Lachen. Er sah Jakob Karrer in der Mitte der Halle stehen, groß und blutverschmiert, über den Körper des Anführers der Soldaten gebückt. Karrer hob ein Beil vom Boden auf. Dann visierte er den Hals des Toten an und hob die Axt.
„Karrer!
Weitere Kostenlose Bücher