Morbus Dei: Inferno: Roman (German Edition)
still, gedämpft vom Schnee, keine Tiere waren zu sehen oder zu hören. Nicht einmal Raben querten den fahlen Himmel.
Die Stunden vergingen, die drei Menschen passten sich der Stille an, sprachen kaum ein Wort. Die Kälte machte sie taub, hüllte sie vollkommen ein, sogar Vitus trottete nur langsam neben dem Schlitten dahin. Seine weichen, braunen Augen flogen immer wieder über die dichten Bäume und das vereiste Unterholz.
Johann zog an den Zügeln, der Ochse blieb stehen.
Elisabeth, die trotz der Kälte eingedöst war, öffnete die Augen. Sie sah, dass sie am Rand eines breiten Schneefelds standen. Die Dämmerung hatte bereits eingesetzt, die letzten schwachen Strahlen der Wintersonne fielen über das Feld und die dunklen Bäume, die es eingrenzten.
„Warum halten wir?“, fragte Elisabeth.
Johann sprang vom Schlitten. „Bin gleich wieder da.“ Er ging mit zügigen Schritten in das Schneefeld hinein. Vitus winselte und drückte sich in den Schnee.
Der alte Mann beugte sich zu Elisabeth. „Kannst du erkennen, was da vorn auf dem Feld ist?“
Elisabeth schüttelte den Kopf, sie sah nur, dass Johann zielsicher auf einen dunklen Punkt zuging. Und dass er die Hand locker an der rechten Hüfte hatte.
Dort, wo sein Messer angeschnallt war.
Die Situation erinnerte Johann an etwas, das er vor nicht allzu langer Zeit erlebt hatte. Er und Albin hatten nach einer verschwundenen Kuh gesucht, und –
Albin.
Johann presste die Lippen unwillkürlich zusammen, als er sich erinnerte, was sie mit Albin in den nebligen Wäldern gemacht hatten, bevor Soldaten und Dorfbewohner gegen das Kloster marschiert waren.
Er erinnerte sich, was mit ihnen allen geschehen war, als sie über das Dorf und seine Bewohner hergefallen waren.
Konzentriere dich auf das Jetzt.
Die Stimme in seinem Inneren. Unerschütterlich, wahrhaftig. Und wie so oft gehorchte Johann ihr und legte zielstrebig die letzten Schritte zu dem verkrümmten Gebilde im Schnee zurück.
Dann erkannte er, was vor ihm lag und wandte unwillkürlich den Blick ab, ließ ihn über die Berge und die dunklen Wälder streifen. Er schluckte, blickte wieder hin.
Im Schnee, in einer Lache aus gefrorenem Blut, lag ein Mann, oder besser gesagt was von ihm übrig war. Fleischfetzen und Kleidungsreste hingen von den Knochen, das Gesicht war zerbissen und in Agonie verzerrt. Ein zerfressener Arm war hochgereckt, bettelnd um Hilfe, die nicht gekommen war, in der letzten Bewegung erstarrt.
Johann holte tief Luft und beugte sich über den Leichnam. Er stutzte, dann lächelte er grimmig. Er erkannte die Überreste von Hemd und Hose, und er sah auch, dass der Körper vor ihm keine Schuhe und Strümpfe anhatte.
Gottes Urteil war über den Bauer gesprochen worden.
Johann sah die Spuren um den Leichnam. Er blickte genauer hin und wurde bleich, als er erkannte, wer das Urteil vollstreckt hatte.
Hastig drehte er sich um. Die untergehende Sonne tauchte alles um ihn herum in rötliches Licht und blendete ihn leicht.
Er sah den Schlitten, sah Elisabeth und ihren Großvater.
Und das Rudel Wölfe, das lautlos aus den Wäldern auf die beiden zuschlich.
Er schrie und rannte los, aber er wusste, dass es zu spät war.
Elisabeth verstand nicht, was vor sich ging. Eben noch war Johann ganz ruhig, und jetzt raste er über das Feld auf sie zu und schrie und gestikulierte.
Plötzlich hörte sie das Knurren von Vitus, fuhr herum – und erstarrte.
Das Wolfsrudel war nur mehr wenige Fuß vom Schlitten entfernt. Der Leitwolf, ein riesiges graues Tier, setzte zum Sprung an. Ein Schrei entfuhr Elisabeths Lippen, dann wurde sie herumgerissen und zu Boden gedrückt.
„Bleib unten!“, schrie der Großvater und kauerte sich über sie, um sie gegen die Wölfe zu schützen. Augenblicke später sprang der Leitwolf und riss den alten Mann wie eine Puppe vom Schlitten.
Elisabeth richtete sich panisch auf und sah ihren Großvater neben dem Schlitten liegen, wild zuckend, den Wolf an seiner Kehle. „Lauf!“, krächzte der alte Mann, dann brach seine Stimme gurgelnd ab, als sich der Wolf in seine Kehle verbiss.
Elisabeth sah den anderen Wolf, der auf sie zuhetzte und lossprang, Geifer im Maul. Reflexartig riss sie den Arm hoch, da hörte sie ein Bellen – es war Vitus, der den Wolf im Sprung abfing. Die beiden Tiere wälzten sich im Schnee, knurrend, beißend, geifernd.
Der Wolf war schnell unterlegen, er blutete, lahmte bereits auf einer Pfote. Vitus baute sich vor ihm auf, die Nackenhaare
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