Morbus Konstantin: Ein Steampunk-Roman (German Edition)
außerirdischer Städte auf den Jupitermonden erkennen konnte. Nun war Bertram Oswald sogar dabei, seine eigene „Weltausstellung“ vorzubereiten, die im Hyde Park stattfinden sollte. Es war ein großes Ereignis, bei dem alle neuesten technischen Wunderwerke gezeigt werden sollten, die in England entstanden waren. Die meisten davon stammten bemerkenswerterweise von Oswald selbst, dem größten Geist ihrer Zeit, wie er selbst nie müde wurde zu betonen. Das Schlimmste war, dass er damit höchstwahrscheinlich Recht hatte.
Natürlich hatte der Fortschritt auch seine dunklen Seiten: hochentwickelte Automaten, die für unsittliche Zwecke missbraucht wurden, die schrecklichen neuen Kriegsmaschinen, Morbus Konstantin und seine prominenten Opfer. Der eigentlich bedeutungslose Begriff „Morbus Konstantin“ ging auf einen Druckfehler in einer rivalisierenden Zeitung zurück. „Morbus Konstantinopolis“ war für den Schriftsetzer wohl zu schwierig gewesen, und zum Entsetzen von Grammatikern und Historikern war die vereinfachte Variante der Öffentlichkeit im Gedächtnis geblieben.
Jedenfalls war es eine großartige Zeit für Journalisten. Zwar gaben Katastrophen bessere Geschichten her als glorreiche Erfolge, aber auch die hellen Seiten des Fortschritts füllten die Zeitungsspalten und zogen die Blicke der Leser an. Obwohl das Essen bei diesen Veranstaltungen immer köstlich war, wollte Ellie nicht länger ü ber noble Galas und die Hochzeiten der Reichen schreiben. Ihr Chefredakteur Cooper hatte sich schließlich ihren Beschwerden gebeugt und ihr einen neuen Auftrag gegeben. Sie sollte die Flussschiffer, die Themseweiber und die Schlammwühler über die Monster befragen, die in den Fluten gesehen worden waren. Er hatte geglaubt, so derbe Gesellschaft würde sie davon abbringen, um interessantere Aufgaben zu bitten, doch da hatte sie ihn enttäuschen müssen. Er hatte die Passagen ihres Artikels, in denen vernünftigere und glaubwürdigere Stimmen zugaben, seltsame Dinge im Fluss gesehen zu haben, gestrichen, doch sie warf es ihm nicht vor. Sie hatten nur noch wenig Platz übrig gehabt, und die verrückteren Sprüche lasen sich einfach besser. Ellie selbst hatte keine Monster im Fluss gesehen, doch sie hatte mit Menschen gesprochen, die fest daran glaubten.
In der Redaktion herrschte wie üblich geschäftiges Treiben. Man redete wild durcheinander, und über allem hing der Geruch nach Tinte. Sie schlängelte sich mit der Anmut einer Tänzerin an den Schreibtischen und Kollegengrüppchen vorbei, ehe sie ohne anzuklopfen im Büro des Chefredakteurs verschwand.
„Oh, gut, Sie haben meine Nachricht erhalten.“ Cooper sah von seinem Schreibtisch auf, der mit Papieren übersät war wie Whitechapel mit Trümmerhaufen. „Dann werden Sie sich also Ende der Woche einschiffen?“
„Nein.“ Cooper hielt nichts davon, seine Reporter zum Trödeln und Schwatzen zu ermuntern, weswegen auf dieser Seite des Schreibtischs kein Stuhl stand. Deshalb beugte sie sich über den Schreibtisch und stützte sich dabei auf zwei festen Stapeln Zeitungspapier ab. „Ich habe kein Interesse daran, über die neueste französische Mode zu berichten.“
„Widerspenstiges Weib.“ Cooper blies in seine Pfeife und erzeugte eine Rauchwolke, die nach seinem widerlichen Gewürztabak stank. „Sie wollten, dass ich Sie ins Ausland schicke, und nun weigern Sie sich, nach Paris zu reisen.“
„Schicken Sie mich nach Mexiko, um über den Krieg zu berichten. So eine Reise meinte ich.“
„Mexiko? Wohl kaum. Sprechen Sie überhaupt Spanisch?“
Sie hatte mit Einwänden bezüglich ihrer Sicherheit oder mit Hinweisen auf die Schwäche ihres Geschlechts gerechnet. Manchmal hatte sie das Gefühl, fast fünfundzwanzig Jahre lang nur gegen diese Argumente angekämpft zu haben. Doch diese neue Taktik gab ihr zu denken. „Nein, also, ich …“
„Aber Sie sprechen fließend Französisch?“
„Ja, natürlich, aber – nein! Ich habe kein Interesse an Mode, Cooper.“
„Das ist offensichtlich“, sagte Cooper noch immer so ruhig, dass sie wütend wurde. Sie hatte den Drang, ihm mitzuteilen, dass sein Bart absolut lächerlich aussah, doch sie hielt sich zurück. Oberlippenbärte und kunstvolle Backenbärte im Dundreary-Stil waren bei Männern gerade groß in Mode. Sie dienten wohl als Beweis, dass die Männer nicht an Morbus Konstantin erkrankt waren und dies zu verschleiern versuchten. Falsche Schnurrbärte waren allerdings zweifellos überall
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