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Mord am Millionenhügel

Mord am Millionenhügel

Titel: Mord am Millionenhügel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gisbert Haefs
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1. Kapitel
    An einem Abend Ende August 1980 teilte mir furchterregender Lärm vor der Tür mit, daß Baltasar Matzbach seine 120 Kilo an mein Domizil befördert hatte – Hupen, das Scheppern der Wagentür, das Schnauben und jener nasale Fanfarenstoß, der meinem Namen entfernt ähnlich klang, waren eindeutig. Ich war kurz vorher aus Bonn aufs Land gezogen und begrüßte die Störung in meinem Exil. Nach weitläufiger Wiedersehensfreude erwähnte Baltasar (er hatte mindestens 100 Gramm abgenommen) seinen grimmigen Hunger. Von Mitleid geschüttelt, schlug ich zehn Eier (zwei für mich) mit reichlich Schinken in mehrere Pfannen und braute Kaffee.
    Nach der Vertilgung, unter Beifügung eines halben Graubrots, erzählte Baltasar die wirre Geschichte seines Tages bis zu diesem Zeitpunkt. Ich gebe sie folgend perspektivisch versetzt und sortiert ungefähr so wieder, wie sie sich zugetragen haben dürfte. Die Anzahl meiner Zwischenfragen zur Klärung von Einzelheiten und undeutlichen Schilderungen mag bei fünfzig gelegen haben.
    Der Tag hatte für Baltasar Matzbach schlecht begonnen. Gegen Mittag erwachte er, gepeinigt von einem Rudel gegensätzlicher Gefühle. Die pralle Blase nötigte ihn, das Bett um einen schnöderen Ort zu verlassen. Das Sägewerk in seinem Kopf ließ ihn weiteren Schlaf ersehnen. Sein Mund schmeckte, als hätten Caesars Legionen in älteren Fußlappen dort eine nächtliche Marschübung vorgenommen. Aus dem Bett trieb ihn der Hunger; die Magenränder überlappte ein flaues Gefühl, das Ruhe erheischte. Zu allem Überfluß ging draußen ein graues Augustnieseln namens Bonner Sommer um, das aber nicht ausreichte, den Blick auf das Bonner Stadthaus, jene Feste des bürokratischen Terrorismus, zu verhängen. Baltasar hatte vergessen (oder war nicht mehr fähig gewesen), die Vorhänge zuzuziehen. »Und wenn es köstlich war«, knurrte er und setzte sich mühselig auf, »so war es«, und schwankend kam er auf seine breiten Füße, »Mühsal und Pein«. Auf dem Heimweg aus dem Bad fiel sein Blick auf die unförmigen Beinkleider, die er Hosen zu nennen beliebte. Sie waren versuchsweise in Falten gelegt und hingen so über einer Stuhllehne. Ein sicheres Anzeichen für besinnungslosen Suff, dachte er, denn ein voll seiner Sinne mächtiger Mensch käme gar nicht erst auf den Gedanken, dergleichen Objekte zu fälteln. Seufzend zog er sich halbwegs an; danach schlurfte er in die Küche seines Altbauappartements und setzte Kaffeewasser auf, riß einen halben Liter Milch aus dem Kühlschrank und goß den kalten Kuhsaft in sich hinein.
    Während das Wasser leise zu singen begann, schlurfte Baltasar abermals ins Bad, um nach den dringenden nun die notwendigen Dinge zu erledigen. Kaltes Wasser eröffnete ihm neue Perspektiven. Sodann griff er zur Zahnbürste, um die Spuren der Kohorten zu verwischen. In diesem Moment sah er, zum (bewußt) ersten Mal, was in den folgenden Tagen sein Leben verändern, meine Zeit stehlen und einige ehrbare Bonner Bürger ins Elend stürzen sollte: Neben seiner zartrosa Zahnbürste mit dem günstigen Knickhals stand eine zweite im Becher, gallig grün.
    Nachdenklich schlürfte er seinen Kaffee und sog an der ersten schwarzen Zigarre des Tages. Dabei zerbrach er sich den Kopf, wozu allerdings nicht viel gehörte, denn dieser war ohnehin lädiert. Der Albino im Spiegel sah aus wie aller Überdruß des Erdballs in einem Brennglas versammelt. Immerhin – selbst in Bonn, wo viele Dinge möglich sind und viele unmögliche Dinge Gesetz werden, ist das jähe Eindringen einer Zahnbürste in eine abgeschlossene Wohnung ein seltener Vorgang, der Anlaß zur Besorgnis gibt. Baltasar klärte, das heißt: Er dachte mit erhellender Logik nach. ›Da ich‹ – so etwa dachte er – ›mich nicht an die Bürste erinnern kann, wird sie gestern wohl noch nicht dagewesen sein. Bleiben zwei Möglichkeiten: Entweder hat jemand sie in meine Wohnung gebracht und in den Zahnbecher gestellt, während ich weg war. Die Wohnung war abgeschlossen. Außer mir hat nur der Vermieter einen Schlüssel. Anrufen.‹
    Der Anruf brachte ein negatives Ergebnis. Der Vermieter äußerte sein Befremden über die Unterstellung, bei Nacht und Nebel Zahnbürsten in vermietete Wohnungen geschmuggelt haben zu sollen. Er empfahl Baltasar weiterhin, mit solchen Anrufen bis zum nächsten 1. April zu warten.
    Fortgang des Denkens: ›Oder ich habe die Bürste selbst mitgebracht und in den Becher gestellt. Da ich ein unordentlicher Mensch

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