Mord au chocolat
Bewohner schlafen, das heißt also eine Toilette für sechs Studenten. Neulich fand ich in einer der reich geschnitzten Mahagoni-Telefonzellen in der Eingangshalle menschlichen Abfall – aus dem Analbereich.
Keine Ahnung, warum sich nicht alle Akademiker in den USA um den Job reißen.
Jedenfalls müssen wir uns vorerst mit Owen begnügen,
der ist echt nett, aber ein Typ von der alten Schule. Zum Beispiel trägt er bei der Arbeit immer einen Anzug. An einem Ort, wo andere Leute ihre Haufen in Telefonzellen machen. Stellen Sie sich das mal vor. Er nimmt alle Vorschriften furchtbar ernst. Einmal ging uns das Papier für den Kopierer aus, und ich schickte unsere Senior-Assistentin, die Studentin Sarah, ins Büro des Speisesaals, wo sie sich Nachschub ausleihen sollte. Da sagte er doch tatsächlich zu mir: »Heather, hoffentlich wird es nicht zur Gewohnheit, dass Sie Material in anderen Büros ausleihen. Immerhin gehört es zu Ihren Aufgaben, stets für einen ausreichenden Vorrat in unserem Büro zu sorgen.«
Hm. Okay.
Außerdem ist Owen in den derzeitigen Campus-Wirbel um die Werkstudenten verwickelt, die gegen Lohnkürzungen und Abstriche bei der Krankenversicherung protestieren. Er soll zwischen den Kids und dem Präsidentenbüro vermitteln. Was bedeutet, dass er dauernd mit wütenden Studenten, die nicht einmal hier wohnen, über die Universitätspolitik streitet.
Nun verstehen Sie sicher, warum ich aufpassen muss, damit Owen nichts von meiner Affäre mit Tad mitkriegt.
Das ist schade, denn Tad hilft mir, meine Pflichten besser zu erfüllen. Wenn ich die Gehaltslisten überprüfe, mache ich nicht mehr so viele Rechenfehler. Und wenn ich bei ihm übernachte, komme ich am nächsten Morgen ein paar Minuten früher zur Arbeit, weil sein vom College vermietetes Apartment näher bei der Fischer Hall liegt als Coopers Sandsteinhaus. Meine beste Freundin Patty will wissen, wie ich es geschafft habe, den einzigen Mann einzufangen, der näher bei meinem Arbeitsplatz
wohnt als ich und ob dieser Umstand meine romantischen Gefühle beeinflusst.
O ja, meine beste Freundin ist für eine glücklich verheiratete junge Mutter erstaunlich zynisch.
Am Morgen meines ersten Lauftrainings mit Tad – und möglicherweise des Vorspiels zu einem Heiratsantrag – gelingt es mir tatsächlich, das Büro des Fischer Hall-Leiters früher als Owen zu erreichen – ein bemerkenswertes Ereignis. Ich hab mich schon gefragt, ob er hier wohnt, weil er diesen Raum niemals zu verlassen scheint.
Nicht nur ich bin überrascht, dass die Tür immer noch verschlossen ist. Auf der Couch vor dem Büro sitzt die Studentin Jamie Price, die im Frühjahr das College gewechselt hat und jetzt bei uns wohnt – blond, breitschultrig, blauäugig. Besorgt springt sie auf.
»Hi?« Jamie gehört zu den Mädchen, die jede Äußerung mit einem Fragezeichen beenden, selbst wenn sie nichts fragen. »Ich habe einen Termin? Bei Dr. Veatch? Um halb neun? Aber er ist nicht da? Ich habe angeklopft?«
»Wahrscheinlich verspätet er sich ein bisschen«, sage ich und nehme meinen Schlüsselbund aus dem Rucksack. Ich trage immer einen Rucksack statt einer Handtasche, weil er groß genug für all meine Kosmetika, Kämme und Haarbürsten, Unterwäsche zum Wechseln etc. ist. Jetzt ist das umso praktischer, weil ich immer öfter bei meinem Mathematikdozenten schlafe. Ich muss bloß daran denken, einen Reiseföhn zu kaufen. Manchmal ist dieses Hin und Her ganz schön anstrengend. Aber ich sollte mich erinnern, wie viele Jahre ich mit meiner Mom aus dem Koffer gelebt habe, als Teenie-Popstar. Zuerst in Kneipen – keine Bühne war zu klein
für Heather Wells. Langsam arbeitete ich mich zu größeren Veranstaltungen hoch, zum Beispiel auf Jahrmärkten, bis ich schließlich den Gipfel des Erfolgs erreichte und bei der Boygroup Easy Street die Liebe meines Lebens kennen lernte, Jordan Cartwright, dessen Vater ich einen Megaplattenvertrag verdankte. Da war Heather Wells berühmt … Für etwa fünf Minuten, bis ich beschloss, meine eigenen Songs zu schreiben, statt diesen zuckersüßen Mist zu trällern, den das Studio mir aufzwang. Da gab mir Jordans Dad einen Tritt in den Hintern – und Mom brannte mit meinem Manager und meinem ganzen Geld nach Argentinien durch.
Obwohl ich vor neun Uhr morgens nicht so gern an diese Dinge denke. Eigentlich nie.
»Sicher wird er gleich da sein, Jamie«, sage ich.
Im Gegensatz zu seinen Vorgängern wohnt Owen nicht in diesem Haus. Das Apartment
Weitere Kostenlose Bücher