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Mord auf der Leviathan

Mord auf der Leviathan

Titel: Mord auf der Leviathan Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Boris Akunin
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Novelle. Aber wer will zu behaupten wagen, daß ein dicker und banaler Roman wertvoller wäre als ein kurzes, schönes Gedicht?« Und das komischste, unser Rentier, der tatsächlich dick und banal ist, hat gar nicht begriffen, daß er gemeint war. Selbst als Miss Stomp (eine nicht dumme, wenngleich sonderbare Person) kicherte und ich ziemlich laut prustete, bekam der Franzose es nicht mit – er blieb bei seiner Überzeugung, und dafür sei er gepriesen.
    Freilich bekundete Monsieur Coche im weiteren Gespräch, schon beim Dessert, einen gesunden Menschenverstand, der mich erstaunte. Auch das Fehlen einer regulären Bildung hat seine Vorzüge: Ein nicht von Autoritäten eingeengter Verstand ist zuweilen fähig, interessante und zutreffende Beobachtungen zu machen.
    Urteilen Sie selbst. Die amöbenartige Mrs. Truffo, die Frau
unseres vertrottelten Doktors, säuselte wieder mal etwas von dem »Kleinchen« und »Engelchen«, mit dem Madame Kleber in Bälde ihren Bankier beglücken wird. Da Mrs. Truffo nicht französisch spricht, mußte ihr unglücklicher Gatte die süßlichen Sentenzen übersetzen – von Familienglück, das ohne das »Plappern der Kleinen« nicht denkbar sei. Coche paffte und paffte, dann sagte er plötzlich: »Ich kann Ihnen nicht zustimmen, Madame. Ein wahrhaft glückliches Ehepaar hat keineswegs Kinder nötig, denn Mann und Frau sind einander vollauf genug. Mann und Frau sind wie zwei unebene Oberflächen, jede mit Hebungen und Senkungen. Wenn die Oberflächen nicht dicht einander anliegen, bedarf es Leim, ohne den die Konstruktion, also die Familie, nicht halten würde. Dieser Leim sind die Kinder. Wenn aber die Oberflächen ideal zueinander passen und jede Hebung eine Senkung findet, ist Leim überflüssig. Nehmen Sie mich und meine Blanche. Dreiunddreißig Jahre leben wir wie ein Herz und eine Seele. Wozu brauchen wir Kinder? Auch ohne sie ist es wunderbar.« Sie können sich vorstellen, Emily, was für eine Woge gerechter Entrüstung über den Zerstörer ewiger Werte hereinbrach. Am meisten ereiferte sich Madame Kleber, die in ihrem Schoß einen kleinen Schweizer trägt. Beim Anblick ihres zur Schau gestellten Bäuchleins zucke ich jedesmal zusammen. Ich sehe im Geiste einen zusammengekauerten Mini-Bankier mit gezwirbeltem Schnurrbärtchen und aufgeblasenen Bäckchen. Mit der Zeit werden die Klebers zweifellos ein ganzes Bataillon der Schweizer Garde auf die Welt bringen.
    Ich muß Ihnen gestehen, meine zärtlich geliebte Emily, daß mir der Anblick schwangerer Frauen Übelkeit verursacht. Sie sind widerlich! Dieses sinnlos animalische Lächeln, diese scheußliche Miene des permanenten Hineinhorchens in den eigenen Leib! Ich halte mich nach Möglichkeit von Madame
Kleber fern. Schwören Sie mir, Teuerste, daß wir niemals Kinder haben werden. Der dicke Bourgeois hat tausendmal recht! Wozu Kinder? Wir sind doch auch so unendlich glücklich. Wir müssen nur diese erzwungene Trennung durchstehen.
    Aber jetzt ist es zwei Minuten vor elf. Ich muß meine Messung machen.
     
    Verflixt! Ich habe die ganze Kabine durchsucht. Mein Sextant ist weg. Keine Einbildung. Er lag in der kleinen Truhe, zusammen mit dem Chronometer und dem Kompaß, und jetzt ist er weg! Ich habe Angst, Emily! Oh, ich habe es geahnt! Meine schlimmsten Befürchtungen haben sich bewahrheitet!
    Warum? Wofür? Die sind zu jeder Schandtat bereit, nur um unsere Begegnung zu verhindern. Wie soll ich jetzt überprüfen, ob der Dampfer den richtigen Kurs fährt? Das war Regnier, ich weiß es. Ich habe gesehen, mit was für Augen er mich anguckte, als er letzte Nacht an Deck mein Hantieren mit dem Sextanten beobachtete. Der Schuft!
    Ob ich zum Kapitän gehe, um eine Bestrafung Regniers zu verlangen? Aber wenn sie unter einer Decke stecken? O Gott, erbarme dich meiner!
     
    Ich mußte eine Pause machen. Mich hat das alles so echauffiert, daß ich von den Tropfen nehmen mußte, die Doktor Jenkinson mir verordnet hat. Und entsprechend seiner Weisung habe ich an etwas Erfreuliches gedacht. Daran, wie wir beide auf der weißen Veranda sitzen und in die Ferne schauen, um herauszufinden, wo das Meer aufhört und der Himmel anfängt. Sie lächeln und sagen: »Lieber Regi, nun sind wir beisammen.« Dann setzen wir uns in das Kabriolett und fahren am Ufer entlang …
    Mein Gott, was fasele ich da! Was denn für ein Kabriolett?
    Ich bin ein Ungeheuer, und es gibt für mich keine Vergebung.

RENATE KLEBER
     
     
    Sie erwachte in glänzender Laune,

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