Mord auf Frauenchiemsee - Oberbayern Krimi
für die andere unempfänglich waren. Zeta besaß diese Gabe wahrscheinlich nicht, doch sie klang ähnlich geheimnisvoll.
»Es ist ein wichtiges Versprechen, Althea.«
»Du verlässt dich ausgerechnet auf diejenige, von der man einmal angenommen hat, sie hätte einen Menschen getötet?« Es war eine böse Erinnerung, aber von denen hatte Althea noch mehr.
»Ja, ausgerechnet. Denn du weißt, was falsche Aussagen und eine Anklage anrichten können. Ich werde mich bemühen durchzuhalten, und diese Erde nicht ausgerechnet zur Weihnachtszeit zu verlassen. Ich bitte dich, das Tagebuch zu lesen. Und meinen letzten Wunsch zu erfüllen.«
Althea bedankte sich für das entgegengebrachte Vertrauen, geschmeichelt fühlte sie sich nicht. Ein letzter Wunsch – sie fürchtete letzte Wünsche. Sie nickte und drückte die Hand der Älteren. »Zeta, erinnerst du dich, wann der Blitz schon einmal in die Eiche gefahren ist? Unsinn, erinnern kannst du dich natürlich nicht, aber vielleicht gibt es eine Überlieferung?« Sie hatte laut gedacht.
»Es gibt sicher alte Briefe und Aufzeichnungen im Archiv. Unser Kloster hat auch dunkle Zeiten erlebt.«
»Dunkel ist mir auch zumute angesichts dieser Büßerzelle – sollte mein Adventskalender nicht gelingen, komme ich sicher in den Genuss des elenden Kämmerleins.« Dass er nicht gelang, war ziemlich wahrscheinlich, auch wenn sich Althea deshalb noch nicht in der Büßerzelle sah. Es gäbe diese Steinkammer jedoch nicht, wenn niemand bestraft worden wäre. Also hatte man dort Schwestern ihre Sünden bereuen lassen.
»Ich kann mich nicht erinnern, dass sie benutzt wurde, aber man könnte sich die Kehle wundschreien und würde nicht gehört.« Zeta schlug die Augen nieder.
Die Einrichtung dieser Zelle war sicher keine Sternstunde des klösterlichen Lebens. Althea sah darin eine Kühlkammer, in der das Blut zu Eis erstarrte.
»Was hast du dir für den Kalender ausgedacht?«, wollte Zeta wissen.
»Kleine Socken. Ich stricke. Zweifarbig, damit das Muster dann die Zahl ergibt. Nur ergibt sich nichts, weil die Socken nicht klein werden wollen. Sie sind riesig«, beschrieb Althea ihr Dilemma.
Mitfühlend fragte Zeta: »Wie viele von den riesigen Socken hast du denn schon fertig?«
»Zwei«, schnaufte Althea. »Ich dachte, Stricken ist einfach, und ich dachte auch ein paar andere Dinge. Nichts davon trifft zu.«
»Du könntest vier von den riesenhaften machen. Das wäre zu schaffen. Dann sind es richtige Adventssocken«, lautete Zetas Tipp.
»Meinst du, ich soll zugeben, dass ich es nicht besser konnte?« Die Priorin würde es bestimmt ahnen, dachte Althea.
»Nie im Leben!«, sagte Zeta und klopfte ihr auf den Oberschenkel. »Sei nicht böse, wenn ich dich jetzt verabschiede – ich schreibe noch ein wenig. Schüttle mir bitte mein Kissen auf.«
Eine kleine Bitte, der Althea gern entsprach.
»Dieser letzte Wunsch …«, begann sie, aber Zeta winkte ab.
»Meine Wahl ist auf dich gefallen. Nicht ohne Grund. Ich wünsche dir eine gute Nacht, liebe Schwester, und warme Füße.«
* * *
Leonie Haberl hatte den Blitzeinschlag gehört und das kurze Aufflackern des Feuers gesehen. Es war ein Zeichen, ganz bestimmt. Eine himmlische Weisung, dass es getan werden musste. Und bald war es so weit. Am 13. Dezember.
Die Gewissheit, etwas Gutes zu tun, nahm ihr nicht die Angst, doch sie wusste, sie war nicht allein. Hatte er nicht davon gesprochen, ihre uneigennützige Tat werde das Kloster vor Schaden bewahren?
»Selige Irmengard, bitte gib mir Kraft«, bat sie und wusste, sie musste das Wissen für immer in ihrem Herzen verschließen, sie durfte es mit niemandem teilen.
Leonie wollte mehr als alles andere ein Mitglied dieser Gemeinschaft werden, sie wollte mit dem Versprechen der Ewigen Profess eine endgültige Bindung eingehen und Nonne sein – auch wenn Andreas Bacher diesen Wunsch nicht verstand. Andreas, ihr Exfreund, der sie nicht loslassen wollte. »Du kannst doch nicht als Jungfrau im Kloster vertrocknen!« Und Leonie hatte ihm vorgeworfen, dass es ihm nur um Sex ginge, den sie bislang nicht hatten. »Lieber tot, als deine Schönheit unter dieser Kutte zu verstecken.« Lieber tot. Das hatte er nicht ernst gemeint, und doch hatte es endgültig geklungen.
Schön fand sie sich nicht, der Spiegel bestätigte, dass sie hübsch war mit ihren kinnlangen dunkelblonden Haaren, den großen braunen Augen und dem vollen Mund. Aber das innere Gefühl war Zerrissenheit. Sie hatte immer
Weitere Kostenlose Bücher