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Der Junge aus dem Meer - Roman

Der Junge aus dem Meer - Roman

Titel: Der Junge aus dem Meer - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Aufbau
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KAPITEL 1
Ungeheuer
    D as wartende Fährschiff – elfenbeinfarben und mit Ober- und Unterdeck ausgestattet – ähnelte einem Stück Torte. Doch vielleicht war ich auch nur hungrig, überlegte ich, während ich über den Kai eilte und mir mein Seesack dabei mit jedem Schritt gegen die Hüfte stieß. Der Name des Schiffs,
Princess of the Deep
, prangte an der Bordwand, und die am Mast hängende Flagge der Vereinigten Staaten knallte peitschend im salzigen Wind. Ich nahm einen tiefen Atemzug. Ich war tatsächlich auf dem Weg.
    Während ich mich in die Schlange der wartenden Passagiere einreihte, bereute ich, mir nichts über den Kopf gezogen zu haben – so wie die anderen, klügeren Reisenden mit ihren Baseballmützen und weichen Strohhüten. Der Schweiß lief mir den Rücken herunter, und meine runde, altehrwürdige Sonnenbrille konnte gegen den grellen Schein des Ozeans nichts ausrichten. Ich hatte nicht viel Zeit gehabt, mich auf diesen Trip vorzubereiten.
    »Der Nächste!«, rief ein kräftiger Mann mit silbrigem Bart und weißem T-Shirt, der die Tickets kontrollierte. Er gab mir ein Zeichen und ich trat auf ihn zu; die hölzernen Planken der Anlegestelle brannten heiß unter meinen Sneakers. Als ich ihm mein Ticket aushändigte, schossen seine buschigen Augenbrauen so weit in die Höhe, dass die Matrosenmütze auf seinem Kopf wackelte.
    »Sie wollen nach Selkie?«, fragte er. In seinem breiten Georgia-Akzent sprach er es wie
Sayl-kee
aus – die Silben der Länge nach betonend. »Selkie Island? Sind Sie sich da sicher, Liebchen?«
    Ich zögerte.
Ich
hatte ganz bestimmt nicht geplant, nach Selkie zu fahren – ein Ort, von dem ich so gut wie nichts wusste. Mein Sommer, so wie fast alle Dinge in meinem Leben, hatte glasklar vor mir gelegen: Sobald die Schule beendet war, sollte ich mein Traumpraktikum am Museum of Natural History in New York City beginnen. Doch dann hatte der Tod meiner Großmutter, die ich nie kennengelernt hatte, eine Kettenreaktion ausgelöst, durch die ich mich nun an diesem späten Juninachmittag hier an dieser Fähre wiederfand. Eine Sekunde lang überkam mich Verwirrung, die ich schnell abschüttelte.
    »Ganz genau«, erwiderte ich und reckte mein Kinn vor. Ich konnte es kaum abwarten, das letzte Stück meiner nervenzehrenden Reise abzuschließen; der Morgenflug von New York nach Savannah hatte Verspätung gehabt. Und der Taxifahrer, der mich zum Hafen gebracht hatte, war in einem Tempo, das seiner Redeweise entsprach, durch die zwielichtigen Straßen gebummelt.
    »Nun gut«, seufzte Matrosenmütze in einem unmissverständlichen Es-ist-Ihr-Begräbnis-Ton. Als er mein Ticket entzweiriss, warf er mir einen Blick zu, der gleichermaßen amüsiert und besorgt schien. »Es ist der letzte Halt, Zuckerschnecke.«
    »Ich weiß«, gab ich in scharfem Ton zurück, um ihm zu zeigen, wie wenig Zucker in mir steckte. Auf einer Karte im Fährterminal hatte ich gesehen, dass die
Princess of the Deep
mehrere der Inseln anlief, die wie kleine Juwelen im Atlantik schimmerten und sich über die ganze Küste vonSouth Carolina bis nach Florida erstreckten, bevor sie Selkie erreichte.
    »Und mein Name ist Miranda«, fügte ich hinzu, bevor ich an ihm vorbei auf das Schiff marschierte. Unglücklicherweise war Miranda auf der Liste der niedlichsten Mädchennamen nicht allzu weit von Zuckerschnecke entfernt. Ich hatte nie das Gefühl gehabt, dass er zu mir passte.
    »Oho, Miranda«, rief Matrosenmütze mir nach, während ich den anderen Passagieren über die knarrende Laufplanke folgte. »Du musst ja ganz schön mutig sein, ein junges Ding wie du, so ganz allein auf dem Weg nach Selkie.«
    Ich hatte keine Ahnung, wovon er redete, und es war mir auch ziemlich egal. Obwohl ich zugeben muss, dass an seinen Worten etwas Wahres dran war. Und das hatte einen Grund: Ich hatte es eilig, meine Mutter am Anleger von Selkie zu treffen. Während der letzten vier Tage, in denen ich allein zu Hause gewesen war, hatte mir ihre beständige Anwesenheit gefehlt.
    Das Unterdeck der Fähre war düster, feucht und voller schreiender Kinder. Orangefarbene Rettungswesten waren an der niedrigen Reling befestigt, und obwohl das Schiff noch immer am Kai festgemacht war, schaukelte es heftig auf den Wellen. Ich dachte mir, dass es angenehmer wäre, im Freien zu stehen. Also kletterte ich die Stahltreppe zum Oberdeck hinauf, wo eine Brise mit meinem Pferdeschwanz spielte und sich mir ein strahlender, leuchtend blauer Anblick von Wasser und

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