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Mord im Orientexpress

Mord im Orientexpress

Titel: Mord im Orientexpress Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Agatha Christie
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Betäubungsmittels stand, kann nicht er da geschrien haben. Hätte er noch schreien können, so wäre er auch zu irgendeiner Form der Gegenwehr im Stande gewesen, aber es gab keine Spuren eines solchen Kampfes.
    Mir fiel nun ein, dass MacQueen nicht nur einmal, sondern gleich zweimal (und beim zweiten Mal sehr deutlich) meine Aufmerksamkeit auf Ratchetts mangelnde Französischkenntnisse gelenkt hatte. Ich kam zu dem Schluss, dass die ganze Sache um null Uhr siebenunddreißig eine eigens für mich inszenierte Komödie gewesen war. Das mit der Uhr konnte jeder leicht durchschauen – es kommt in allzu vielen Kriminalromanen vor. Es war beabsichtigt, dass ich sie durchschaute; dann würde ich mir nämlich etwas auf meine Schläue einbilden und weiterhin schließen, dass die Stimme, die ich um dreiundzwanzig Minuten vor eins gehört hatte, nicht Mr. Ratchetts Stimme gewesen sein konnte, da er ja kein Französisch sprach, und dass Ratchett folglich da schon tot gewesen sein müsse. Ich bin aber überzeugt, dass Ratchett um dreiundzwanzig Minuten vor eins noch in seinem betäubten Schlaf lag.
    Doch die Komödie klappte wie am Schnürchen! Ich habe meine Tür geöffnet und hinausgesehen. Ich habe auch den französischen Satz gehört. Und für den Fall, dass ich so unglaublich dumm wäre, die Bedeutung dieses Satzes nicht zu erkennen, musste man mich mit der Nase darauf stoßen. Notfalls hätte Mr. MacQueen das ganz offen tun können. Er hätte sagen können: ‹Entschuldigung, Monsieur Poirot, aber das kann nicht Mr. Ratchett gewesen sein, der da sprach. Er konnte doch kein Französisch.›
    Also, wann hat der Mord nun wirklich stattgefunden? Und wer hat ihn begangen?
    Nach meiner Meinung – und es ist wirklich nur eine Meinung – wurde Ratchett irgendwann ganz kurz vor zwei Uhr nachts getötet, am Ende des Zeitrahmens, den der Arzt uns genannt hat.
    Zu der Frage, wer ihn getötet hat –?»
    Er verstummte und blickte sich unter seinen Zuhörern um. Über Mangel an Aufmerksamkeit konnte er sich nicht beklagen. Alle hingen an seinen Lippen. Man hätte in der Stille eine Stecknadel fallen hören.
    Er fuhr langsam fort:
    «Mir fiel auf, wie außerordentlich schwierig es war, irgendjemandem in diesem Zug etwas nachzuweisen, und zwar auf Grund des merkwürdigen Umstandes, dass in jedem Fall das Alibi für den Betreffenden von einer – lassen Sie es mich so ausdrücken – ‹unwahrscheinlichen› Person kam. So gaben Mr. MacQueen und Colonel Arbuthnot sich gegenseitig ein Alibi – zwei Menschen, bei denen es äußerst unwahrscheinlich war, dass sie einander von früher kannten. Gleiches ergab sich bei dem englischen Diener und dem Italiener, bei der Schwedin und der Engländerin. Ich sagte mir: ‹ C ’ est extraordinaire – sie können doch nicht alle in das Spiel verwickelt sein!›
    Und da, Mesdames et Messieurs, sah ich Licht. Sie w a ren alle verwickelt. Denn dass so viele Menschen, die alle eine Beziehung zu dem Fall Armstrong hatten, zufällig im selben Zug reisten, war nicht nur unwahrscheinlich, es war unmöglich. Es konnte kein Zufall sein, es war geplant. Und nun erinnerte ich mich, wie Colonel Arbuthnot etwas von einem Schwurgericht gesagt hatte. Eine Geschworenenbank besteht aus zwölf Personen – es waren zwölf Fahrgäste – und Ratchett wurde mit zwölf Messerstichen getötet. Und etwas, worüber ich mir schon die ganze Zeit den Kopf zerbrochen hatte – dass zu einer Jahreszeit, in der sonst nicht viel los ist, der Kurswagen Istanbul-Calais so voll war –, fand plötzlich eine Erklärung.
    Ratchett hatte sich in Amerika der gerechten Strafe entzogen. An seiner Schuld gab es keinen Zweifel. Ich sah im Geiste zwölf selbst ernannte Geschworene vor mir, die ihn zum Tode verurteilten und sich infolge der besonderen Lage der Dinge genötigt sahen, ihr Urteil auch selbst zu vollstrecken. Und unter dieser Annahme fügte der ganze Fall sich wunderbar zusammen.
    Ich sah ein vollkommenes Mosaik vor mir – ein jeder spielte die ihm oder ihr zugewiesene Rolle. Das Ganze war so eingefädelt, dass jeder, auf den ein Verdacht fiel, durch die Aussagen eines oder mehrerer anderer sofort entlastet und der Fall noch weiter vernebelt wurde. Hardmans Aussage wurde für den Fall benötigt, dass ein Außenstehender in Verdacht geriet und kein Alibi vorweisen konnte. Für die Reisenden im Wagen Istanbul-Calais bestand keine Gefahr. Ihre Aussagen waren bis ins kleinste Detail vorher abgesprochen. Das Ganze war ein sehr schlau

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