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Mord im Orientexpress

Mord im Orientexpress

Titel: Mord im Orientexpress Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Agatha Christie
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möchte ich Ihnen allen gemeinsam vorstellen.»

Neuntes Kapitel

Poirot stellt zwei Lösungen vor
     
    D ie Reisenden drängten sich in den Speisewagen und nahmen an den Tischen Platz. Alle hatten mehr oder weniger die gleichen Mienen aufgesetzt: eine Mischung aus Furcht und Erwartung. Die Schwedin weinte noch immer, und Mrs. Hubbard versuchte sie zu trösten.
    «Sie müssen sich jetzt wieder fassen, meine Liebe. Es wird sicher alles gut. Sie dürfen sich nicht so gehen lassen. Wenn einer unter uns ein böser Mörder ist, wissen wir doch alle, dass Sie es nicht sind. Wer das auch nur dächte, müsste ja verrückt sein. So, nun setzen Sie sich hier mal schön hin, und ich bleibe bei Ihnen; und quälen Sie sich nicht so.»
    Ihr Wortschwall verebbte, als Poirot sich erhob.
    Der Schlafwagenschaffner stand in der Tür.
    «Gestatten Sie, dass ich hier bleibe, Monsieur?»
    «Gewiss, Michel.»
    Poirot räusperte sich.
    «Mesdames et Messieurs, ich werde mich von nun an der englischen Sprache bedienen, weil ich glaube, dass Sie alle von ihr ein wenig verstehen. Wir sind hier, um den Tod eines gewissen Samuel Edward Ratchett – alias Cassetti – zu untersuchen. Es gibt für diesen Mord zwei mögliche Lösungen. Ich werde Ihnen beide vorstellen, und dann mögen Monsieur Bouc und Dr. Constantine entscheiden, welche von ihnen die richtige ist.
    Die Tatsachen sind Ihnen allen bekannt. Mr. Ratchett wurde heute Morgen erstochen aufgefunden. Soweit man weiß, war er nachts um null Uhr siebenunddreißig noch am Leben, denn da hat er durch die Tür etwas zum Schlafwagenschaffner gesagt. In seiner Schlafanzugtasche wurde eine stark beschädigte Uhr gefunden, deren Zeiger auf Viertel nach eins standen. Laut Dr. Constantine, der die Leiche nach ihrer Entdeckung untersuchte, ist der Tod zwischen Mitternacht und zwei Uhr morgens eingetreten. Eine halbe Stunde nach Mitternacht ist unser Zug, wie Sie alle wissen, in eine Schneeverwehung geraten. Von diesem Zeitpunkt an war es niemandem mehr möglich, den Zug zu verlassen.
    Laut Mr. Hardman, dem Angestellten einer New Yorker Detektei» (mehrere Köpfe wandten sich nach Mr. Hardman um) «konnte niemand an seinem Abteil (Nummer sechzehn, am hinteren Ende des Wagens) vorbeigehen, ohne von ihm gesehen zu werden. Das zwingt uns zu der Schlussfolgerung, dass der Mörder unter den Fahrgästen eines Wagens zu suchen ist – im Kurswagen Istanbul-Calais.
    Dies, will ich sagen, war unsere Theorie.»
    «Comment?», rief Monsieur Bouc aufs Höchste verwundert.
    «Ich will Ihnen aber nun eine Alternative zu dieser Theorie unterbreiten. Sie ist sehr einfach. Mr. Ratchett hatte einen ganz bestimmten Feind, vor dem er sich fürchtete. Er hat diesen Feind Mr. Hardman beschrieben und ihm gesagt, der Mordanschlag werde, falls überhaupt, höchstwahrscheinlich in der zweiten Nacht nach Abfahrt des Zuges von Istanbul verübt werden.
    Ich will Ihnen nun zu bedenken geben, meine Damen und Herren, dass Mr. Ratchett mehr wusste, als er gesagt hat. Sein Feind stieg, genau wie Ratchett erwartet hatte, in Belgrad oder möglicherweise in Vincovci in den Zug, und zwar durch die Tür, die Colonel Arbuthnot und Mr. MacQueen offen gelassen hatten, als sie einmal kurz ausstiegen. Er hatte die Uniform eines Schlafwagenschaffners über seine normale Kleidung gezogen und war im Besitz eines Hauptschlüssels, mit dessen Hilfe er in Mr. Ratchetts Abteil gelangte, obwohl die Tür verschlossen war. Mr. Ratchett stand unter der Einwirkung eines Schlafmittels. Der Mann stach in blinder Wut auf Mr. Ratchett ein und verließ danach das Abteil durch die Verbindungstür zu Mrs. Hubbards Abteil –»
    «So ist es», bestätigte Mrs. Hubbard kopfnickend.
    «Im Vorbeigehen steckte er den Dolch, den er für die Tat benutzt hatte, in Mrs. Hubbards Waschzeugbeutel. Ohne es zu merken, verlor er dabei einen Knopf von seiner Uniform. Dann stahl er sich aus dem Abteil und über den Gang davon. Als er an einem Abteil vorbeikam, in dem sich gerade niemand befand, stopfte er die Uniform in aller Eile dort in einen Koffer. Wenige Minuten später stieg er in seiner normalen Kleidung aus dem Zug, kurz bevor dieser weiterfuhr. Und wieder durch dieselbe Tür – die beim Durchgang zum Speisewagen.»
    Alle Anwesenden schnappten nach Luft.
    «Und die Uhr?», wandte Mr. Hardman ein.
    «Da liegt die Erklärung für das Ganze. Mr. Ratchett hatte es unterlassen, in Tzaribrod seine Uhr um eine Stunde zurückzustellen, wie er es hätte tun sollen. Sie zeigte

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