Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Mord im Tiergarten - historischer Kriminalroman

Mord im Tiergarten - historischer Kriminalroman

Titel: Mord im Tiergarten - historischer Kriminalroman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: emons Verlag
Vom Netzwerk:
widerspiegelte.
    Professor von Trittin trug Segelschuhe aus weißem Lackleder, die mit ihren hohen Absätzen für den Wassersport gänzlich ungeeignet waren. Über einer weißen Hose hatte er eine marineblaue Kapitänsjacke an, die an den Schultern und im Brustbereich so stark wattiert war, dass sein schmächtiger Oberkörper unnatürlich aufgebläht wirkte. Auf seinem winzigen Kopf thronte eine sehr schlanke Kapitänsmütze, die ihm noch einige zusätzliche Zentimeter in der Gesamthöhe verschaffte. Der Professor hatte alle nur denkbaren Anstrengungen unternommen, um imposanter, männlicher und größer zu wirken. Trotzdem reichte er Otto nicht mal bis zur Kinnspitze, und diese Feststellung bezog sich vermutlich nicht nur auf Trittins Körpergröße.
    »Sanftleben«, sagte der Professor schneidig. Er war näher getreten und schaute zuerst nach unten, dann zu Moses. »Wie ich sehe, haben Sie Ihr Faktotum mitgebracht.«
    Otto war dem ersten Blick des Wissenschaftlers gefolgt und bemerkte erst jetzt, dass er im Aufruhr der Gefühle ganz vergessen hatte, sich anständiges Schuhwerk anzuziehen. Noch immer trug er seine Lieblingshausschuhe, die an der Fußspitze mit pelzigen Flauschebommeln besetzt waren, die vom strammen Marsch noch wackelten. Otto schnaufte ungehalten und nahm Haltung an. Er hatte es nicht nötig, sich und seinem Anliegen mehr Geltung zu verschaffen, indem er sich ausstaffierte wie der Professor. Ein Mann konnte jedes Kleidungsstück mit Würde tragen, wenn er nur den rechten Charakter hatte. Deshalb hob Otto seinen Fuß an und setzte ihn demonstrativ auf den Kopf eines nackten Bronzeamors, der zur Zierde in einem Blumenbeet stand. »Wie viele Ihrer Studenten waren bisher Neger?«, fragte Otto.
    »Was glauben Sie denn?«, erwiderte Professor von Trittin. »Natürlich kein einziger.«
    »Dann können Sie unmöglich wissen, ob der Neger im Allgemeinen und mein Leibdiener im Besonderen zum Universitätsstudium taugen. Obwohl Deutsch nicht seine Muttersprache ist, hat Moses sein Abiturexamen mit ordentlichen Noten abgelegt. In Musik wurden ihm sogar sehr gute Leistungen bescheinigt. Er verfügt nicht nur über die notwendige Zugangsqualifikation, sondern hat auch seine geistige Reife unter Beweis gestellt. Ich ersuche Sie daher dringend, von beleidigenden Reden, wie Sie sie gestern im Hörsaal gehalten haben, zukünftig Abstand zu nehmen. Ansonsten sehe mich gezwungen, eine Beschwerde bei der Universitätsleitung einzureichen. Außerdem verlange ich eine Entschuldigung.«
    »Sanftleben«, sagte Trittin. »Neger werden niemals ermessen können, was unser herrliches Vaterland an Bildung, Wissenschaft und Forschung hervorgebracht hat. Seit jeher waren sie der heißen afrikanischen Sonne ausgesetzt. Die große Hitze und der Mangel an Wasser hat ihr Gehirn schrumpfen lassen. Im besten Fall sind sie wie kleine Schimpansenbabys, die drollige Fratzen ziehen, aber an einer Universität, an einer Stätte des deutschen Schöpfergeistes, haben sie nichts verloren. Haben Sie einmal das Buch des Grafen Gobineau ›Essai sur l’inégalité des races humaines‹ gelesen? Oder sind Sie des Französischen nicht mächtig?«
    »Natürlich habe ich Gobineau gelesen«, erwiderte Otto. »Was er über die Qualitäten seiner Rassegruppen zu Papier bringt, hat nichts mit einer seriösen Beweisführung zu schaffen und basiert lediglich auf Scheinargumenten und Behauptungen. Gerade Sie als Wissenschaftler sollten das begriffen haben. Mit seiner resignierten und pessimistischen Haltung hätte ich dem Grafen eher einen ausgedehnten Kuraufenthalt in Karlsbad empfohlen, als sich weiter mit diesen Irrthesen zu beschäftigen. Vielleicht würde er dann noch leben.«
    In diesem Moment verabschiedete sich der Segelkamerad des Professors. » Au revoir , Emil. Bis nächsten Sonntag bei der Übungsregatta.«
    »Warte mal«, sagte Professor von Trittin. »Wie viele Boote hat die Werft aus Blankenese eigentlich geliefert?«
    »Insgesamt zehn«, antwortete der Segelkamerad. »Fünf für den Akademischen Segelverein in Pichelsdorf und fünf für uns.«
    »Es liegen aber nur neun Nennungen für die Übungsregatta vor. Dann wäre ein Boot frei«, sagte Trittin und zeigte den Anflug eines hinterhältigen Lächelns. »Sanftleben, was halten Sie davon, wenn wir um den Studienplatz für Ihr Faktotum ein Wettsegeln veranstalten?«
    »Davon halte ich rein gar nichts«, erwiderte Otto. »Es steht Ihnen nicht zu, über einen Studienplatz für Moses zu

Weitere Kostenlose Bücher