Mord in Der Noris
als Erster Frank Weber, »bin aber jetzt, seitdem es die
Quelle nicht mehr gibt, Arbeitssuchender. Also ohne Arbeit.«
Jeannette Weber arbeitete als ausgebildete
Tierpflegerin, und ihre jüngere Schwester Tanja studierte im nahen Erlangen an
der Friedrich-Alexander-Universität Tiermedizin. Heinrich machte sich eifrig
Notizen.
Eine Frage schoss ihr in den Kopf, ohne Zeit für die
Antwort zu lassen. Durfte sie diesem Mann und seinen Töchtern das zumuten oder …?
»Wie war eigentlich das Verhältnis Ihrer Mutter zu
Elvira Platzer, die ja immerhin ihre Schwester war?«, wandte sie sich direkt an
Jeannette Weber.
Diese reagierte überraschend neutral, fast schon
freundlich. »Normal, würde ich sagen. Oder, Papa?«
Frank Weber nickte. »Ja, ganz normal. Wie unter
Geschwistern halt so üblich.«
»Geht irgendjemand von Ihnen auf die Jagd – oder hat
jemand von Ihnen den Jagdschein?«, fragte Paula weiter.
Alle drei Webers hoben verwundert den Blick und
schüttelten verneinend den Kopf.
»Nicht? Gut. Haben Sie, Frau Weber«, Paula wandte sich
der älteren der beiden Schwestern zu, »in Ihrer Arbeit als Tierpflegerin Umgang
mit scharfen Messern?«
»Nein, warum?«, lautete die prompte Gegenfrage.
»Die meisten Tierpfleger sind doch auch für das
Zerkleinern der Nahrung der ihnen anvertrauten Tiere zuständig?«
»Ich nicht. Ich arbeite im Delphinarium, da wird das
Futter schon fix und fertig angeliefert.«
»Aha.« Sie sah auf Heinrichs Block, auf dem nun das
Wort »Delphinarium« zweimal umkringelt war. Das bedeutete: Darum würde er sich
kümmern.
»Haben Sie hier im Haus irgendeine Art Mäuse- oder
Rattengift gelagert?«
»Was fällt Ihnen ein?«, blaffte Jeannette Weber sie
an. »Sehen wir so aus, als ob wir Ratten …«
»Mir würde ein einfaches Ja oder Nein völlig genügen«,
fiel Paula ihr ins Wort.
»Nein.«
»Gut. Das wäre es dann vorläufig. Nein, eine letzte
Frage habe ich noch: Sie sind sich ganz sicher, dass Sie vor ein bis zwei
Wochen mit Frau Platzer nicht«, sie betonte die Verneinung, »in Kontakt
getreten sind? Und dazu benötigen wir von jedem von Ihnen eine gesonderte
Aussage. Für das Vernehmungsprotokoll, verstehen Sie.«
Natürlich erhielten sie und Heinrich dreimal die
gleichlautende Antwort – ein fast schon empörtes »Nein« – auf diese
überflüssige Frage, die sich dennoch gelohnt hatte. Denn als sie sich von dem
Weber-Trio, das bis zuletzt auf seinem knarzenden Ledersofa sitzen geblieben
war, verabschiedeten, zeigten die drei Mundwinkel kein auf den Kopf gestelltes U
mehr, sondern bildeten eher einen langen, schmalen, hie und da zittrigen
Gedankenstrich. Diese sichtlich gereizte Anspannung wertete Paula als Ergebnis
ihrer richtigen Fragen.
Vor dem Haus bedeutete ihr Heinrich, ihm zu folgen. Er
eilte die Ganghoferstraße Richtung Kreuzsteinweg entlang, bog dort ab und blieb
abrupt stehen.
»Noch eine Sekunde länger, und ich hätte mich nicht
mehr beherrschen können«, prustete er laut lachend los. »›Für das
Vernehmungsprotokoll, verstehen Sie.‹ – Das war wirklich einsame Spitze,
Paula.«
Sie musste eine Weile warten, bis er sich wieder
beruhigt hatte.
»Aber bei Weitem nicht so pfiffig wie dein klares
Profil der Angehörigen. Das war um Klassen besser. Wie dir das nur so schnell
eingefallen ist.«
So standen sie noch ein paar Sekunden schweigend an
der Straßenecke und sonnten sich in den Komplimenten, die sie sich gegenseitig
gemacht hatten. Dann marschierten die Hauptkommissarin und ihr Oberkommissar
zum Haus der Webers zurück.
Bevor sie sich trennten, kamen sie überein, erst
morgen weiterzumachen. Heinrich mit den Kontenüberprüfungen und dem
»gründlichsten Gegenchecken, das du dir überhaupt vorstellen kannst«, sie mit
einer Fortsetzung ihrer Wühlarbeit in der Eichendorffstraße.
Auf ihrem Weg in den Vestnertorgraben hielt Paula
noch beim nächstbesten Supermarkt an und kümmerte sich um ihre Vorratshaltung.
Sie ging dabei nicht planvoll vor, sondern
ausschließlich nach dem Zufallsprinzip. Alles, was ihr vor die Augen kam und
verführerisch aussah, packte sie in den Einkaufswagen, der somit am Ende dieses
Zickzackkurses mit allerlei gesunden wie ungesunden Lebensmitteln gefüllt war.
Mit Knäckebrot und Fertigpizza, Studentenfutter und drei Lauchstangen,
gesalzener Butter aus dem Périgord und einer Familienpackung Vanilleeis, einem
Glas steinloser griechischer Oliven und Schokoladenkeksen aus der französischen
Schweiz, tiefgekühltem
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