Mord in Mombasa: Thriller (German Edition)
miterlebt, wie sein Sohn in Kenia ankam. Der Alte war schon lange tot, ein Opfer des Alkohols und der zahllosen selbstgedrehten Zigaretten, aber auch der zerschmetternden Erkenntnis, dass sein Leben, dieses unvorstellbar harte Leben, rückblickend so völlig sinnlos gewesen war.
Jake blickte durch das schmutzige Fenster auf die baufälligen, schäbigen Hütten aus Wellblech, Maschendraht, wiederverwendeten Holzbrettern und geflochtenen Palmblättern. Zu beiden Seiten der Straße reihten sich diese Bruchbuden aneinander, in denen alles Mögliche verkauft wurde, vom handbestickten Kanga -Schal bis zum hundertprozentigen Selbstgebrannten. Der Einfallsreichtum dieser Händler erstaunte ihn immer wieder aufs Neue. Ebenso wie die erdrückende Armut, die diesen Einfallsreichtum erst hervorbrachte. Er fragte sich, was sein Vater wohl dazu gesagt hätte. Und er wusste, dass Albie es besser verstanden hätte als seinen eigenen Sohn.
»Natürlich gäbe es noch eine ganz andere Lösung für dieses Schlamassel«, brach Harry plötzlich das Schweigen.
»Und zwar?«
Er wedelte mit zweihundert Dollar unter Jakes Nase herum.
»Ich kenn da so eine Bar, nur einen Kilometer von hier.«
»Ich dachte, das Geld war für den Araber.«
»Du hast doch gehört, was er gesagt hat: Er betrachtet es als Beleidigung.«
Jake rieb sich müde übers Gesicht. Durch die Finger sah er den Stau, der sich bis ins Unendliche ausdehnte, und auf einmal fand er den Gedanken, sich wieder zu betrinken, unglaublich attraktiv. Dann erweckte irgendetwas – eine plötzliche Bewegung, die er nur verschwommen aus dem Augenwinkel wahrnahm – seine Aufmerksamkeit.
»Die Bar heißt Maggies Höhle«, fuhr Harry fort. »Direkt am Dhau-Hafen. Ein bisschen derb vielleicht, hat aber irgendwie Charakter.«
»Fahr rechts ran«, sagte Jake.
»Was?«
»Fahr rechts ran. Jetzt.«
Harry lenkte das Auto Richtung Fahrbahnrand und erntete dafür ein erbostes Hupkonzert von hinten, weil er mit seinem jähen Manöver den langsam vorankriechenden Verkehr wieder komplett zum Erliegen gebracht hatte. Doch da flog auch schon die Beifahrertür auf, und der Sitz war leer. Einen Moment war Jake noch zu sehen, wie er sich im Slalom einen Weg durch die Stoßstange an Stoßstange stehenden Wagen bahnte, um an den Straßenrand zu kommen. Dann war er verschwunden.
7
D as Mädchen war vielleicht sechzehn Jahre alt. Sie lehnte an dem handbemalten Raffia-Seitenteil eines Obststandes. Ihre Beine hatte sie auf dem Gehweg ausgestreckt, und aus einer Kopfwunde sickerte das Blut. Sie weinte, rollte mit den Augen und rang die Hände. Eine Gruppe Schaulustiger hatte sich um sie versammelt und starrte sie neugierig an, aber keiner machte Anstalten, ihr zu helfen. Schließlich konnte sie ja von einem Dämon besessen sein. Jake hingegen vermutete, dass sie unter Schock stand. Vor nicht einmal dreißig Sekunden hatte er aus dem Landrover beobachtet, wie ein großer Mann, der sein Gesicht mit der Kapuze seines Oberteils verbarg, von hinten auf sie zugerannt und sie zu Boden gestoßen hatte. Dabei hatte er ihr das Baby entrissen, das sie in einem Baumwolltuch am Körper trug.
Jake kniete neben ihr nieder und sah sich ihre Verletzung an. Obwohl die Wunde stark blutete, war sie nur oberflächlich.
»Hey, du«, befahl er dem Besitzer des Obststandes, einem schmächtigen Mann mit tabakverfärbten Zähnen und den zitternden Händen des Alkoholikers. »Besorg dieser Frau etwas, womit sie ihre Wunde verbinden kann.«
Ausdruckslos sah ihn der Mann an.
Jake zeigte auf die Wunde. »Gango!«
Da nickte der Mann eifrig und wiederholte das Kiswahili-Wort mehrmals, als wollte er sichergehen, dass er es nicht vergaß. Aber Jake wartete nicht ab, ob der Verkäufer wirklich kapierte, was er von ihm wollte.
Der Entführer des Kindes war von der Hauptstraße in eine schmalere Seitenstraße abgebogen, die sich zu den riesigen Zementpfeilern der Nyali-Brücke hinunterschlängelte. Jake schlug dieselbe Straße ein, musste aber feststellen, dass es sich um eine Sackgasse handelte. Am Ende, auf einem mit Gestrüpp überwucherten Gelände direkt unter der Brücke, lag ein Schrottplatz, auf dem sich die rostenden Autos zu windschiefen Türmen stapelten. Die meisten Fahrzeuge waren bei den Unfällen, die ihrem nützlichen Dasein ein Ende gesetzt hatten, bis zur Unkenntlichkeit zertrümmert worden. Obwohl hoch über Jakes Kopf der gestaute Verkehr lärmte, konnte er das eindringliche Heulen eines kleinen Kindes
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