Mord in Tarsis
Mann mit grünbemaltem Gesicht, dessen echte Haare kurz geschoren waren. Voller Furcht schossen seine braunen Augen zu Kyaga. »Das ist kein Schamane. Das ist ein zungenloser Sklave, der die Kleider des Schamanen trägt, wenn er sich mit Kyaga in der Öffentlichkeit zeigt.«
»Bei meinem Bankett hat er genug gesprochen!« widersprach der Fürst.
»Ihr habt nicht mit Schattensprecher geredet«, erklärte Eisenholz. »Der Mann, mit dem Ihr geredet habt, ist Kyaga selbst gewesen!« Schnell wie ein Panther ergriff er mit einer Hand Kyagas Handgelenk und zog dem Häuptling mit der anderen den Handschuh aus. Darunter kam ein kompliziertes Siegel zum Vorschein, das auf den Handrücken gezeichnet war. Mit dem Handschuh verwischte er das Siegel zu einem formlosen Geschmier. Die strahlendgrünen Augen, die vor Haß geweitet waren, wurden blaß.
»Wenn er Schattensprecher sein wollte, machte sein Zauber seine Augen braun. Als Kyaga waren sie grün. Jetzt seht Ihr ihre wahre Farbe.« Die Augen waren mattblau geworden. Eisenholz lächelte die Häuptlinge an, die hinter Kyaga aufgereiht waren. »Es hat nie einen Schattensprecher gegeben. Dieser Mann hat Euch sein eigenes Kommen angekündigt.« Der Ärger, der sich auf ihren Gesichtern abzeichnete, war fast komisch anzusehen.
»Es gibt nicht nur keinen Schattensprecher, es gibt auch keinen Kyaga Starkbogen!«
»Wer ist er dann?« rief der Fürst, der überhaupt nichts begriff.
Eisenholz riß den Schleier herunter und enthüllte ein einigermaßen gutaussehendes, aber eher unauffälliges Gesicht, über das die Furcht kroch wie ein aufziehender Nebel. »Keiner, den Ihr oder irgend jemand anders hier kennen wird – außer mir. Sein Name ist Boreas. Er ist ein Gauner, ein Harfenist und Schauspieler. Einst, in einem anderen Land, war er mein Freund. Aber er hat mich verraten und mich zum Sterben zurückgelassen.«
»Hah!« rief Muschelring aufgeregt. »Mütterchen Krötenblume sagte, der Musiker würde hinter all dem stecken! ›Falsche Augen‹, hat sie gesagt. ›Er ist einer‹, hat sie gesagt.«
»Als ihm klar wurde, daß Yalmuk und Guklak bereit waren, ihn zu verraten«, fuhr Eisenholz fort, »beschloß er, sie auf vorteilhafte Weise umzubringen. Er wollte, daß es so aussah, als ob die Tarsianer es getan hätten, damit seine Häuptlinge durch ihren Durst nach Rache noch enger an ihn gebunden wären.«
»Infam!« sagte der Fürst.
Eisenholz bedachte ihn mit einem freudlosen Lächeln. »Indem er Geheimrat Melkar den Mord an Guklak in die Schuhe schob, wollte er sich einen weiteren Vorteil verschaffen. Er wollte, daß Ihr ihm Euren fähigsten militärischen Kommandanten ausliefert. Er wußte genau, was er von Euch zu halten hatte, mein Fürst. Er wußte, Ihr würdet die fadenscheinigste Anschuldigung benutzen, um einen potentiellen Rivalen aus dem Weg zu räumen.«
Die Räte blickten ihren Fürsten wenig wohlwollend an, doch er ignorierte sie. »Ich bin noch nicht überzeugt.«
»Für einen Schauspieler wie Boreas war es ein Kinderspiel, einen tarsianischen Adligen zu imitieren. Er ist einer Reihe von ihnen persönlich begegnet und wurde durch den Umstand unterstützt, daß sie in der Öffentlichkeit häufig Masken tragen. Er konnte sich stets frei in der ganzen Stadt bewegen, wenn er den einen oder anderen großen Herrn spielte. Und so hat er Yalmuk zum Platz vor dem Gericht gelockt. Als irgendein Edler von Tarsis, der bereit war, seinen Fürsten zu verraten, oder Yalmuk ein Bestechungsgeld anbieten wollte, um dies seinerseits zu tun. Er ließ den Mann durch eines der Tore herein – Eure Wachen sind überaus bestechlich, mein Fürst – und führte ihn zu dem Platz, wo der stumme Sklave auf dem Sockel der Statue von Abushmulum dem Neunten wartete. Einer von beiden warf Yalmuk die Schlinge um den Hals, und gemeinsam zogen sie ihn hoch. Deshalb war das ganze Blut auf dem Sockel.«
Er grinste dem Mann ins Gesicht. »Ich schätze, eine Garotte aus Draht ist die natürliche Waffe eines Harfenspielers, was, Boreas?« Er sah auf. »Sucht seine Harfe. Ich wette, es fehlt eine Saite.«
»Und Guklak?« wollte ein Nomadenhäuptling wissen.
»Leicht«, sagte Eisenholz. »Wahrscheinlich hat er ihn direkt hier im Lager getötet und ist dann als Adliger mit militärischem Auftrag mit der Leiche auf einem Packpferd durch eines der Tore geritten. Es ziehen stündlich Patrouillen durch die Tore. Die Wachen hatten Anweisung, Nomaden und andere Fremde auszusperren, nicht die Adligen
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