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Mord in Tarsis

Mord in Tarsis

Titel: Mord in Tarsis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Maddox Roberts
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    Ein dünner Mantel aus Schnee lag über der Stadt. Er warf den silberglänzenden Schein des Vollmonds über ihre Türme, Herrenhäuser und die großen, öffentlichen Gebäude. In manchen Fenstern leuchtete das weiche gelbe Licht abgeschirmter Lampen. In anderen waren die helleren, punktförmigen Lichter von Kerzen zu sehen, und hinter einigen wenigen flackerte der orangerote Schein von Kaminfeuern. Über vielen Dachfirsten stiegen aus Schornsteinen weiße Rauchsäulen in die stille Nachtluft empor.
    Der Mann, der diese friedliche Szenerie betrachtete, fand den Anblick recht hübsch, wenn auch von unausweichlicher Melancholie erfüllt, denn weite Teile der Stadt waren finster und lagen in Ruinen. Aus diesen Teilen kam kein aufmunterndes Leuchten, und dort stieg auch kein duftender Rauch auf. Er fand das Traurige daran jedoch keineswegs unangenehm, denn er verstand sich als Dichter, und Dichter fühlen sich von Melancholie seit jeher angezogen.
    Er stand an einem Fenster unter dem Dachstock des Wirtshauses »Zur Glücklichen Wiederkehr«, dessen Name noch aus der Zeit stammte, als die Stadt einen großen Hafen gehabt hatte und eine glückliche Wiederkehr nichts Ungewöhnliches gewesen war, denn ihre Seefahrer segelten auf den großen Meeren der Welt. Strenggenommen war jedwede Wiederkehr eine glückliche, wenn man die Alternative bedachte. Das Gasthaus stand auf einer Anhöhe in der Südwestecke der Stadt, nahe der rechteckigen Festung, die einst den Hafen bewacht hatte. Von hier aus, aus dem zweiten Stock des Gasthauses, konnte er die gesamte Stadt überblicken, denn nur die höchsten Türme waren auf seiner Höhe.
    Tarsis die Stolze war sie in jenen Tagen gewesen, sann er vor sich hin, und Tarsis die Schöne, sogar Tarsis, die Stadt der zehntausend Schiffe, obwohl das bestimmt eine Übertreibung gewesen war. Und was ist sie jetzt? dachte er. Tarsis die Sterbende, vielleicht. Bei der großen Umwälzung war das Meer von Tarsis zurückgewichen, hatte sie verlassen wie eine Braut, die auf den Stufen des Tempels von ihrem Bräutigam zurückgestoßen wird. Der Handel zu Lande hielt sie am Leben, aber sie konnte nicht mehr die gleiche Zahl an Einwohnern versorgen und erfreute sich auch nicht mehr des Wohlstands, der sie einst unter den Städten der Welt zu einer der ersten Prinzessinnen, wenn nicht gar zur Königin gemacht hatte.
    Er fühlte sich dazu aufgerufen, ein Gedicht über diese berühmte Tragödie zu verfassen, doch er hatte kaum Zeit, den Reim für seinen Eröffnungsvers zu finden, denn schon klopfte es an seiner Tür. »Herein«, murmelte er, ohne sich umzudrehen.
    Der Störenfried, der nun eintrat, war ein untersetzter Mann mit einer Schürze und einer Tuchkappe, deren langer, geflochtener Zipfel neben seinem runden, backenbärtigen Gesicht herunterbaumelte. »Ihr habt einen Besucher«, erklärte der Wirt.
    Der Mann, der nach ihm hereinkam, war eine zu hochgestellte Persönlichkeit, um an gewöhnliche Türen zu klopfen. Er war ganz in silberbestickten schwarzen Samt gekleidet. Seine Handschuhe und Stiefel waren aus weichem schwarzen Leder, und er trug die Halbmaske, die modebewußte Männer und Frauen derzeit anlegten. An seinem Gürtel hingen ein schmales Schwert und der dazu passende Dolch.
    »Fach das Feuer an, Wirt«, sagte der Adlige, der sich noch nicht einmal zu einem Nicken zu der Glut im Eckkamin herabließ, »und schließ diese Läden.«
    »Ich ziehe es vor, die erfrischende Luft der Winternacht einzuatmen«, sagte der Dichter mit überaus sanfter Stimme und hielt damit den geschäftigen Wirt auf. »Aber schürt auf jeden Fall das Feuer.«
    Solange der Wirt im Feuer herumstocherte und Holz nachlegte, sagten die beiden Männer kein Wort. Ein Mädchen in enggeschnürtem Mieder über einem fleckigen Hemd brachte ein Tablett mit einem Krug, zwei Weinkelchen und einem Teller mit Kümmelkuchen, Trockenfrüchten und harten Keksen. Sie füllte die Kelche und zog sich wortlos zurück.
    Nachdem der Wirt das Feuer zufriedenstellend angefacht hatte, stand er auf. »Haben die Herren noch einen Wunsch?« Er lächelte hoffnungsvoll, doch es kam keine Antwort, so daß er sich unter Verbeugungen zurückzog und die Tür hinter sich schloß.
    Ohne seine Handschuhe auszuziehen, nahm der Mann in Samt einen Kelch in die Hand und trank. »Du bist Nistur«, sagte er; es war eine Feststellung, keine Frage.
    »Der bin ich«, sagte der Dichter, der den anderen Kelch nahm.
    »Du wurdest mir wärmstens empfohlen.«
    »Ich

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