Mord und Brand
mit Interesse zu, wie das Petroleum sich im Raum verteilte. Bei der Eingangstür angelangt, kramte er eine Schachtel Schwefelhölzer aus seiner alten Kleidung hervor, entflammte ein Hölzchen und warf es in Richtung der nächsten Petroleumlacke. Leider ging die Flamme während des kurzen Flugs aus. Leise fluchend entzündete er ein weiteres und warf wiederum. Diesmal erreichte es brennend die feuchte Stelle am Holzboden. Eine Stichflamme schoss empor, züngelnd wanderten die Flammen den Fußboden entlang und entzündeten nach und nach all die Stellen, an denen er Petroleumlampen zerschlagen hatte. Das Büro brannte. Oprschalek stieg nun, in einer Hand den Petroleumkanister und in der anderen die gestohlene Ledertasche, in der sein Werkzeug und seine alte Kleidung verstaut waren, die Stiegen in den Hof hinunter. Noch einmal stattete er dem Konfektionslager einen Besuch ab. Mit großer Sorgfalt benetzte er möglichst viele der in Reih und Glied hängenden Kleidungsstücke mit Petroleum. Als kein Tropfen mehr im Kanister war, ging er zurück zum Eingangstor. Dort entzündete er ein weiteres Schwefelhölzchen, warf es in die Lagerhalle und betrachtete mit großer Befriedigung die Stichflammen, die den Anfang vom Ende des Warenlagers der ›Herrenkonfektionsfabrik Lischauer‹ einleiteten. Er verließ die Fabrik und drehte sich in einiger Entfernung noch einmal um. Gerade zur rechten Zeit: Im Chefbüro im ersten Stock barsten die Fensterscheiben. Gierige Flammen züngelten hinaus in die kalte Winterluft. Eine Woge des Glücks durchströmte ihn, als er im dichten Schneetreiben der menschenleeren Kalvarienberggasse verschwand.
VII.
»Nix is’ los in Wien , gar nix…«, grantelte Leo Goldblatt, nachdem er vom Oberkellner des Café Landtmann mit einem gut gelaunten »Habe die Ehre, Herr Doktor, na, was ist los in unserer Stadt?« begrüßt worden war. Er gab bei der Garderobe seinen neuen Mantel mit Innenpelz und Pelzkragen sowie seinen Hut ab und begab sich zu seiner Loge. Sein Unmut wuchs, als er sah, dass diese besetzt war. Der eilig herbeigeeilte Oberkellner entschuldigte sich und dirigierte den ungehaltenen Stammgast zu einer anderen Fensterloge. Goldblatts Gemütsverfassung beruhigte sich erst, als er seinen türkischen Kaffee mit einem Schuss Trebernen, im Café bereits als ›Goldblatt‹ bekannt und auch von anderen Gästen geschätzt, serviert bekam. Voll Behagen schlürfte er das heiße, durch den Alkohol noch anregendere Getränk und registrierte mit Genugtuung, wie sich vom Magen aus ein angenehm warmes Gefühl in seinem Körper ausbreitete. Er griff nach einer Zeitung, fing zu blättern an und stellte fest, dass heute, am 26. Jänner, wirklich nichts in Wien los war. Gott sei Dank hatte er in der Früh seine Faulheit überwunden und war hinaus nach Hernals gefahren, als er von dem Brand in der Kleiderfabrik gehört hatte. Gemeinsam mit dem Nachwuchsredakteur Buzek hatte er sich die Brandruine in der Kalvarienberggasse angesehen. Der anwesende Polizeikommissär, ein alter Bekannter, hatte ihn über die Hintergründe informiert. Er erfuhr, dass der Brand ganz offensichtlich gelegt worden war und dass es zwei verschiedene Brandherde, im Büro einerseits und im Lager andererseits, gab. Buzek hatte alles notiert und war dann von Goldblatt in die Redaktion geschickt worden, um den Rohentwurf eines Artikels zu verfassen. Er, Goldblatt, würde nach Mittag in die Redaktion kommen und den Artikel ausfeilen und vollenden. Einzig der Aufhänger, die Schlagzeile, machte ihm noch Kopfzerbrechen. Er brauchte irgendetwas, das ins Auge sprang. Das außergewöhnlich spektakulär war und das den Brand in ein interessantes Licht rückte. An einem Tag, an dem nix passierte, war so eine Brandlegung für die Lokalberichterstattung Gold wert. Zufrieden saß er im wohlig warmen Kaffeehaus, dachte an die grausliche Kälte, die draußen herrschte, trank seinen ›Goldblatt‹ und döste kurz darauf ein. Er träumte von einem Kerl, der mit einer riesigen Fackel in der Hand durch Wien zog und Gebäude in Brand steckte. Er, Goldblatt, war diesem Verbrecher dicht auf den Fersen, konnte ihn jedoch nicht stellen. Als er ihm schließlich ganz nahe gekommen war, drehte sich der Kerl um und zündete seinen neuen, pelzgefütterten Wintermantel an. Lichterloh brennend warf sich Goldblatt zu Boden und wälzte sich im Schnee. Zum Glück wurde er nun durch ein lautes Räuspern aus seinem Traum gerissen. Er blinzelte und sah ein
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