Mord und Brand
bulldoggenartiges Gesicht mit einem gewaltigen, aufgezwirbelten Schnurrbart vor sich. ›Nicht schon wieder‹, dachte Goldblatt, ›dauernd erwischt mich Nechyba, wenn ich im Kaffeehaus ein Nickerchen mache.‹ Er schämte sich, denn Nechyba stellte süffisant fest:
»Jetzt schlafen S’ sogar schon vor’m Mittagessen im Kaffeehaus. Wenn S’ so weitermachen, Goldblatt, dann werden S’ in Ihrer Zeitungsredaktion nimmer lang die Chronik leiten. Dann wird man sie bestenfalls als Traumdeuter beschäftigen.«
Traumdeutung? Wie, zum Kuckuck, sollte er den Feuerteufel deuten… Aber ja! Das war es! ›Der Feuerteufel‹ war eine tolle Überschrift. Damit konnte er die ganze Geschichte mit der Brandstiftung perfekt aufmachen. Er gähnte zufrieden, streckte sich und erwiderte:
»Traumdeutung… Sie haben ja keine Ahnung, Nechyba. Wenn Sie wüssten, was in unseren Träumen alles steckt… Aber wenn Sie das wirklich interessiert, mach’ ich Sie gerne mit dem Doktor Freud bekannt. Mit dem tarockiere ich gelegentlich. Der ist ein Spezialist bei der Deutung von Träumen. Hochinteressant, Nechyba. Sie sollten sich einmal damit beschäftigen.«
»Ich bin doch nicht meschugge, dass ich mich mit Träumereien beschäftige. Goldblatt, das überlass’ ich Ihnen und Ihrem Doktor Freud.«
»Es brennt in Wien jetzt verdächtig oft, ist Ihnen das auch schon aufgefallen, Nechyba?«
»Auf was wollen Sie hinaus? Der einzige Brand, der mir untergekommen ist, war der bei den Oprschaleks. Aber das war ja ein Mord, so wie’s ausschaut…«
»Meine ehemalige Putzfrau, die arme Anni Oprschalek… Dauernd hat’s ›um Gottes willen‹ g’sagt. Eine fleißige und saubere Frau, die halt ein bisserl naiv war. Und die von ihrem Gatten brutal unterdrückt worden ist…«
»Der Oprschalek ist ein Mistvieh. Das stimmt schon. Aber sie hat’s ihm ja auch heim’zahlt, indem s’ ihn mit dem Gotthelf betrogen hat.«
»Das hat er nicht g’wusst. Weil da hätte er sie schon vor Jahren umgebracht. Aber ich meinte eigentlich nicht den Oprschalek-Mord. Ich hab an das Dachfeuer in der Radetzkystraße gedacht…«
»Da war ein deppertes Dienstmädel schuld. Die hat am Dachboden mit einer brennenden Petroleumlampe hantiert…«
»Na, und der Brand in der Feldapotheke vor eineinhalb Wochen?«
»Da hat eine nicht minder depperte Bedienerin ein Flascherl Äther umg’schmissen. Der Äther ist ausgeflossen und hat sich am brennenden Gasofen entzündet.«
»Trotzdem, Nechyba, dafür, dass das Jahr gerade angefangen hat, hat’s schon ganz schön oft in unserer Wienerstadt gebrannt.«
»Was wollen S’ damit sagen?«
»Na, dass das alles vielleicht kein Zufall ist. Das hätte auch das Werk eines Feuerteufels sein können…«
»Geh, bitte! Goldblatt, ich flehe Sie an, schreiben S’ ja nicht so einen Stuss 19 . Das bringt die Leut nur auf dumme Ideen. Wissen S’, wo die wirklichen Feuerteufel sitzen? Die, die andauernd zündeln? Das sind die Preistreiber, die die Versorgungsschwierigkeiten unseres Staates ausnützen, um sich eine goldene Nase zu verdienen. Was glauben S’, was ich erst gestern oder vorgestern in der Zeitung gelesen hab’? Sogar die Würsteln sollen jetzt teurer werden. Die Wiener Fleischhauer haben angekündigt, den Preis der Würsteln einheitlich auf 14 Heller zu erhöhen. Es soll sogar schon ein Komitee gebildet worden sein, das die Einhaltung der erhöhten Verkaufspreise überwachen und jene Fleischermeister zur Raison bringen soll, die von einer Preiserhöhung nichts wissen wollen. Das sind die Leute, die in dieser Stadt zündeln. Das sind die wahren Feuerteufel, Goldblatt.«
Je länger Goldblatt dem Inspector beim Räsonieren über den Ausdruck ›Feuerteufel‹ zuhörte, desto sicherer war er, eine erstklassige Überschrift für seinen Artikel gefunden zu haben.
VIII.
Feuerteufel! Diese Schlagzeile wirkte auf Oprschalek wie ein Blitzschlag aus heiterem Himmel. Er erblickte sie zufällig, als er einem dahinspazierenden, Zeitung lesenden Mann über die Schulter gesehen hatte. Da noch einiges Geld in seiner Hosentasche klimperte, kaufte er mit schweißfeuchten und zitternden Händen das Blatt. Er trug es wie einen Schatz mit sich und eilte in die ›Stadt Paris‹ am unteren Ende der Josefstädter Straße. Hier gefiel es Oprschalek, denn in dem Lokal verkehrten alle möglichen Typen. Da sich gleich vis-à-vis, auf der gegenüberliegenden Seite der Auerspergstraße, eine Markthalle 20 befand, umgab ihn in der
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