Mord Unter Segeln
sie nicht nur mit der blau-weiß gestreiften Teetüte an, er könnte wetten, dass sie auch das langärmlige rosa T-Shirt anschleppte, das ihr gestern ins Auge gestochen war. Aber egal, Edeltraud sollte ruhig in jeden Laden auf der Barkhausenstraße gehen, sich umgucken und seinetwegen auch einkaufen; Hauptsache, er konnte ungestört in Simones Wohnung nach dem Rechten schauen.
Dass er den Schlüssel das letzte Mal benutzt hatte, war noch gar nicht so lange her. Und doch überkam ihn ein Hauch von Beklemmung, als er ihn ins Schloss steckte, wusste er doch nicht, was ihn hinter der Wohnungstür erwartete.
»Simone?« Langsam lief er den Flur hinunter und öffnete vorsichtig jede Tür, doch sowohl Küche, Wohnzimmer, Gäste-WC als auch Gästezimmer waren leer. Er räusperte sich. Dann näherte er sich Simones Bad und ihrem Schlafzimmer. Noch einmal rief er: »Simone?« Wieder kam keine Antwort. Vorsichtig öffnete er die Tür zum Schlafzimmer und stutzte. An den Pfosten am Kopfende des Bettes hingen Handschellen. Ein Funke Angst um Simone stieg in ihm auf, den er sofort unterdrückte. Es würde schon alles in Ordnung sein. Er gab sich einen Ruck, ging zurück in Küche und Wohnzimmer und sah sich dort mit nüchternen Augen um. Es sah so aus, als sei Simone nur mal kurz fort und gleich wieder zurück. Das Telefon im Flur allerdings lag auf der Ladestation. Das war sonst nur der Fall, wenn Simone ins Bett ging oder über Nacht fort war. Was die Frage aufwarf: Wo hatte sie die Nacht verbracht? Und was hatten die Handschellen zu bedeuten? Simones Mann war in den letzten beiden Wochen nicht hier gewesen.
Horst Schöneberg fischte sein Handy aus der Hosentasche. Er drückte eine Kurzwahltaste, Simone war unter der Nummer neun abgespeichert. Automatisch wurde ihre Handynummer gewählt. Doch statt eines Klingelns hörte er eine weibliche Computerstimme. »Der gewünschte Gesprächsteilnehmer ist vorübergehend nicht erreichbar.«
Nachdenklich zog er die Wohnungstür hinter sich zu. Wo steckte sie nur? Sein Blick fiel auf die Telefonliste, die Simone laminiert und für die Pensionsgäste im Flur aufgehängt hatte. Neben ihrer eigenen Handynummer, der des Inselpolizisten und der Rufnummer der Praxis des Inselarztes stand auch die Telefonnummer der Bohrinsel darauf, auf der Peter Gerjets arbeitete. Nur einen Moment zögerte Horst, dann ging er zurück in die Wohnung, griff zum Telefonhörer und drückte die Tasten.
***
Das Besprechungszimmer in der Polizeiinspektion war voll besetzt. Neben Christine und Oda waren auch ihr Chef, der Erste Kriminalhauptkommissar Hendrik Siebelt, die Kollegen Lemke und Nieksteit sowie Gerd Manssen, der Leiter der Kriminaltechnik, anwesend.
»Wir haben es aufgrund der Spurenlage anscheinend mit einem klassischen Beziehungsdelikt zu tun«, sagte Manssen. »Wir haben Blut nicht nur in der Kajüte, sondern auch an Deck im Bereich der Pinne gefunden. Die Tatwaffe scheint über Bord geworfen worden zu sein, allerdings lassen Blutanhaftungen an den Schabstellen, die zur Zerstörung von Bootsname und Bootsherkunft führten, darauf schließen, dass dazu ein und derselbe Gegenstand benutzt wurde.«
»Der da sein könnte?«, fragte Christine.
»Ich tippe auf ein Messer mit einer langen Klinge. Krüger wird uns nach der Obduktion sicher mehr sagen können.«
»Wissen wir inzwischen, wer die Tote ist?«, wollte Oda wissen.
»Nein. Keine Papiere. Weder vom Schiff noch von der Leiche. Wir tappen absolut im Dunkeln.« Lemke schüttelte sein gescheiteltes Haupt. Er sah blass aus heute Morgen, etwas, was gar nicht zu ihm passte. Gut, Lemke war noch nie der sonnengebräunte Sonnyboy gewesen, mit seiner akkuraten Kleidung und den College-Schuhen entsprach er eher dem Typ Schwiegermutters Liebling.
Hendrik Siebelt lehnte sich vor. »Gibt es Vermisstenanzeigen? Fürs Schiff oder für die Frau?«
»Keine«, sagte Lemke, und auch Nieksteit verneinte bedauernd. Wieder einmal sah er so zerzaust aus, als sei er direkt aus dem Bett zum Dienst gekommen und hätte sich den Umweg übers Badezimmer gespart. Doch Christine wusste, dass Nieksteit zwar ähnlich chaotisch wie Oda, aber auch peinlich auf Sauberkeit bedacht war. Er hatte sich kürzlich sogar ein Desinfektionsspray auf seinen Schreibtisch gestellt, mit dem er seine Hände ständig besprühte – aus lauter Angst, er könnte am EHEC-Virus erkranken. Eine solche Überängstlichkeit hatte Christine ihm bis dahin gar nicht zugetraut.
»Auch der Hafenmeister
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