Mord zur besten Sendezeit
Redewendung, die ich in diesem Zusammenhang übrigens noch nie in meinem Leben gehört hatte — , »dann solltest du auch mehr Feuer bekommen.« Ich holte den Kellner und machte in einem ziemlich ungeschickten Versuch, Bev zu erfreuen, einen Aufstand: »Das hier sagt noch >Muh<«, sagte ich und deutete auf Max’ Teller. »Es geht um dein Trinkgeld, mein Freund.« Der Kellner sauste in Richtung Steuerbord zur Kombüse, den Fleischteller fest im Griff. Max’ Besteck hing mitten im Schnitt über einem Phantomteller. Er trug nichtgerade sein glücklichstes Lächeln auf dem Gesicht.
Bev sagte: »Sie passen ja sehr gut auf meinen Max auf.« Dann lächelte sie und kniff mir mit ihren langen rosa Fingernägeln in die Wange. »So ein hübsches Mädchen.«
»Laß sie in Ruhe, Bev. Siehst du nicht, daß ihr das peinlich ist?« meinte Walter. Die Unterhaltung setzte wieder ein, als sei sie nie erstorben. Ich sah Max über den Tisch hinweg an. Er sah nicht zufrieden aus.
»Das hier sagt noch >Muh« flüsterte er mir wütend zu. »Vielleicht willst du mir das Fleisch auch vorschneiden?« Eindeutig ein Fall von auf mich projizierter Wut, die eigentlich der überfürsorglichen Mutter galt, dachte ich.
Lenny, Max’ sehr viel kleinerer und sehr viel verheirateterer Bruder, redete über seine Lieblings-Baseballmannschaft, die New York Mets (welch ein Lokalpatriot) . Er tupfte sich häufig den Schnurrbart mit einer Serviette ab. Er schien nervös zu sein und kaute auch an den Fingernägeln, wie Max. Aus den Augenwinkeln konnte ich erkennen, daß Bev mich beobachtete. Ich starrte auf meinen Teller, um ihren Blick nicht erwidern zu müssen. Ich schaute Max an. Er fing meinen Blick auf und wandte sich dann ab. Die restliche Zeit, die das Abendessen dauerte, verbrachte ich damit, mich zu fragen, was eigentlich sein Problem war. Wir waren in der nächsten halben Stunde ziemlich erfolgreich damit, uns weder anzufassen noch zu unterhalten.
Der Kaffee und die Nachspeise kamen und wurden wieder abgetragen. Lenny hatte ein Auto und war so freundlich, uns anzubieten, uns später nach Hause zu fahren. Max sagte: »Kannst du Wanda zuerst in Park Slope absetzen und mich dann bis zur Upper East Side mitnehmen?«
Lenny sagte: »Kein Problem.« Vielleicht nicht für ihn. Ich blinzelte in Richtung meines Freundes. Wir hatten zum ersten Mal seit dem Gang mit der Alufolie wieder Blickkontakt.
Max erklärte: »Ich muß morgen früh aufstehen. Viel zu tun im Büro. Ich muß schlafen.« Die ganze Zeit, während er redete, glitzerten seine Augen nicht ein einziges Mal. Ich versuchte zu erkennen, was um Himmels Willen schief gelaufen war.
Ich sagte: »Du mußt mir nichts erklären. Ich habe dich ja schließlich nicht an der Leine.« Der ganze Tisch wurde leiser, um zuhören zu können.
»Es tut mir leid, Wanda«, sagte er. »Ich will nur heute abend allein sein. Was ist denn daran so schlimm?« Projiziert schon wieder, dachte ich. Eindeutig war es für ihn schlimm.
Ich wandte mich Bev zu. »Er hat nur Angst, daß er an Sie denken muß, wenn wir heute nacht miteinander bumsen.« Ihre Kinnlade fiel herab. Großmama keuchte auf. Großpapa griff sich ans Herz. Max sah mich an, als wünschte er, ich wäre tot. Das war der Moment, in dem ich ging (über die Schiffsplanke, sozusagen). Auf dem Weg hinaus steckte mir unser Kellner einen Haferflockenkeks in Form eines Walfisches für den Rückweg zu.
Weniger als vierundzwanzig Stunden später hielt der D-Train endlich an der Seventh Avenue in Park Slope, Brooklyn. Meine Haltestelle. Ich stieg aus. Nun, da ich es mir gestattet hatte, über gestern abend nachzudenken, konnte ich auch gleich an nichts anderes mehr denken. Ich machte einen Umweg durch den Regen zum Getränkemarkt an der Ecke. Ich kaufte eine Literflasche Mescal Tequila, ließ sie in meine Manteltasche sinken und ging die beiden nassen und menschenleeren Blocks entlang zu meinem Brownstone-Apartmenthaus auf der Flatbush Avenue.
Otis lümmelte nicht wie sonst häufig an der Wohnungstür herum, als ich öffnete. Ich fand sie in meinem Schlafzimmer, wo sie auf meinem Futon schlief und sich ihre Puppe Mr. Mousie unter das Kinn geklemmt hatte. Es war ein so rührender Anblick, daß ich ihn unbedingt mit meiner Polaroidkamera festhalten wollte. Der Blitz schreckte sie auf. Unter meiner Kommode sah sie dann schon weniger photogen aus. Ich zog mich aus und warf mich in einen Jogginganzug und ein T-Shirt. Dann zog ich mir Wollsocken an und steckte
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