Mords-Bescherung
ab
schlenderten, sich einen um den anderen Becher mit Glühwein, Jagatee und was
sonst noch füllen ließen, grölten und torkelten, wer von denen kam in die
Kirche, um den Herrn zu sehen? Gewiss, auch heute war die Kirche wieder voller
Leute. Kameras umgehängt, in Reiseführern blätternd, mit den Fingern auf Bilder
und Statuen deutend, deren Abbildungen sie in ihren klugen Büchern gefunden
hatten, glücklich, den Originalen nun in der Wirklichkeit begegnet zu sein. Wer
von denen dachte an den Herrn? Achtete sein Wort?
»Du musst dagegen etwas tun«, sprach der Herr zu ihr, »so wie du
deinen Mann in die Hölle geschickt hast, musst du heute etwas für mich tun,
gegen diese Widerlichkeiten, die vor der Kirche und um die Kirche herum im
Namen meines Geburtstages geschehen, wenn du nichts tust, wer sollte dann was
tun? Ausgeräuchert, hinweggefegt, vom Antlitz der Erde getilgt müssen jene
werden, die meines Namens spotten.«
Sie meinte, in den Augen des Herrn ein Glitzern der Leidenschaft
wahrgenommen zu haben, fast schien ihr, als hätte der Heiland seine Blicke vom
Teufel abgewandt und sah ihr direkt in die Augen, seine Hände, die zuvor
abwehrend dem Teufel entgegengestreckt waren, waren ihr zugewandt, als wollte
er sie auffordern, zu ihr zu kommen. Wie konnte sie? Oh, wie sie gewollt hätte!
»Es wird«, so sprach der Herr weiter, »auch einen Lohn für dich
geben, wenn du, mein Werkzeug, für mich handelst. Die ewige Glückseligkeit wird
in meinem Reich auf dich warten.«
Sie schluchzte auf, vor Freude, vor Begeisterung, aber auch vor
Angst und Ungewissheit. Einige Menschen wandten sich mit fragenden, besorgten
Gesichtern nach ihr um. Sie bemühte sich, ruhig zu bleiben, um nicht weiter
aufzufallen. Wie sollte sie jene strafen, die den Herrn missachteten? Sie war
allein, die da draußen aber doch so viele! Verzagt betete sie weiter, in der
Hoffnung, der Herr möge erneut zu ihr sprechen.
Schön langsam kam ein wenig Schwung in die Angelegenheit.
»Nicht vielleicht den größeren, gnädige Frau? Da werden die Kinder
auch mehr Freude daran haben! Nur neunzehn neunzig.«
»Einen Hirten noch dazu? Vielleicht einen mit Schaf? Ochs und Esel?«
»Darf ich Ihnen noch meine Krippenbeleuchtungen zeigen? Sehen Sie,
hier einfach an die Batterie anschließen, und schon leuchtet der Stall rot!«
Einige Frauen hatten sich um seinen Stand angesammelt, manche
zeigten angeregt auf die ausgestellten Waren und tuschelten miteinander. Er kam
ein wenig in Stimmung und nahm noch einen Schluck von dem Becher Punsch, den er
sich zuvor vom Stand gegenüber geholt hatte. Wohlige Wärme breitete sich in
seinem Bauch aus. Aus den Augenwinkeln nahm er eine große Gruppe von
Japanerinnen wahr, die sich bergab seinem Stand näherten. Schnell versuchte er,
die gerade laufenden Verkaufsgespräche zu einem Abschluss zu bringen. Jetzt
wurde es Zeit für den Christbaumbehang, den er bisher noch nicht offen zu
zeigen gewagt hatte.
Verzagt flüchtete sie aus der Kirche, weil der Herr schwieg und
nicht mehr zu ihr sprechen wollte. Zwar hatte er sie freundlich angesehen, doch
er hatte sie alleingelassen. Allein mit der großen Aufgabe. Sie sollte hier
unter den Ungläubigen aufräumen, sollte sie hinwegfegen, aber wie, das hatte
ihr der Herr nicht verraten. Damals, bei ihrem Mann, hatte er klar und deutlich
zu ihr gesprochen, hatte sie an ihr Wissen erinnert, hatte ihr die Pflanze
gezeigt, doch jetzt, wo es um noch viel mehr ging, ließ er sie einfach allein.
Tränen stiegen ihr in die Augen, als sie die Stiege hinunter in die Gassen des
Ortes nahm, wo die Gottlosen ihre Buden aufgebaut hatten. Da pries einer die
längste Wurst der Welt an, dort glänzten Schnapsflaschen in der tief stehenden
Sonne, die Luft war von Weihnachtsschlagern und dem Geruch von Alkohol
getränkt. Sie zog den Kopf tief ein, starrte zu Boden und stieß mit einem Mann
zusammen, der gerade seine Plastikgabel in ein Stück Bratwurst gesteckt hatte.
Die Bratwurst flog samt dem Pappteller, der Gabel und dem Sauerkraut in hohem
Bogen gegen den Pelzmantel einer Touristin, die hysterisch zu kreischen begann.
Sie hastete weiter, während der Mann in einheimischem Dialekt hinter ihr
herschimpfte, die Frau hingegen in einer ihr fremden Sprache nicht zu
lamentieren aufhören wollte. Ein Mädchen in einem Engelskostüm mit angeklebten
Flügeln und einem goldenen Heiligenschein über dem Haupt stellte sich ihr in
den Weg. »Darf ich Sie zum Chorsingen der Volksschule einladen? Um
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