Mords-Bescherung
die
Sekretärin an. »Ich will alle Beamten, die am Unfallort waren, hier in meinem
Büro. Und zwar innerhalb der nächsten halben Stunde.«
Es ging nicht ganz so schnell, wie Kröninger es
eingefordert hatte – zwei der vier Beamten, die am Unfallort gewesen waren,
hatten gerade einen Einsatz. In einem Vorstadt-Beisl war es zwischen
notorischen Trinkern zum Streit und zu handgreiflichen Auseinandersetzungen
gekommen.
Aber nach eineinhalb Stunden waren dann alle da.
Sie konnten glaubwürdig versichern, dass nicht einer von ihnen ein solches Foto
gemacht habe. Foto ja, aber nur zum Zwecke der Dokumentation des Unfalls.
Niemand hatte ein Bild an die Presse gegeben. Und es hatte auch keiner von
ihnen beobachtet, dass einer der Sanitäter oder der Notarzt … Und als dann das
Bergungsfahrzeug mit der Seilwinde kam, da waren die Verunglückten ja längst
abtransportiert.
Kröninger glaubte den Polizisten. Keiner von
ihnen suchte seinem strengen Blick auszuweichen. Keiner zeigte Anzeichen
unangebrachter Nervosität. Er glaubte ihnen und schickte sie weg, zurück an
ihre Arbeit.
»Machen Sie den Chefredakteur dieses Schmutzblattes
ausfindig. Ich will ihn sprechen.« Er war noch immer wütend. »Stimmt nicht«,
fügte er hinzu. »Ich will ihn nicht sprechen. Was ich wirklich will, ist ihm
mit Anlauf in seinen platt gesessenen Arsch treten.«
Zehn Minuten später hatte er ihn in der Leitung.
Marius M. Hellwage.
Ein Deutscher, dachte Kröninger. Mir bleibt auch
nichts erspart. Ein arroganter Deutscher.
Er wusste, dass es ein Vorurteil war. Aber nach
Fairness oder Neutralität war ihm an diesem Tag nicht zumute.
Kröninger verzichtete auf jegliche
Höflichkeitsform, sagte weder Guten Tag noch Bitte und Danke. »Ich will wissen,
vom wem das Foto stammt, das heute Ihre geschmacklose Titelseite ziert.«
Die mühsam unterdrückte Wut war ihm anzuhören.
Doch der Chefredakteur ließ sich davon nicht
beeindrucken.
»Ihnen wird bekannt sein«, sagte er mit einer
Stimme, der ein leises Lächeln zu entnehmen war, »dass es so etwas wie
Informantenschutz gibt …«
Kröninger schwieg. Er musste ein paar Sekunden
lang darüber nachdenken, wie er mit diesem arroganten deutschen
Journalistenarschloch umgehen sollte.
Dann sagte er, sehr leise und dabei sehr drohend:
»Dieses Foto kann nur entstanden sein, bevor die Rettungskräfte eingetroffen
sind. Als die Sanitäter, die Polizei und die Feuerwehrleute kamen, war niemand
außer den Unfallopfern da.«
Er schwieg wieder eine Sekunde. Auch am anderen
Ende der Leitung keine Regung.
»Ich nehme an, dass Sie nicht Chefredakteur
geworden wären«, sagte er dann schärfer, »wenn Sie nicht genug
Journalistenverstand hätten, um zwei und zwei zusammenzählen zu können …«
Hellwage wollte ihn unterbrechen, wollte
einhaken, etwas erwidern. Doch Kröninger ließ es nicht zu.
»Seien Sie still!«, fuhr er ihn an. »Als das Foto
gemacht wurde, waren beide Unfallopfer noch am Leben. Eines davon ist
verstorben. Gestern früh im Krankenhaus. Was meinen Sie: Hätte der Fotograf
nicht die Verpflichtung gehabt zu helfen? Hat er aber nicht. Soviel ich mir im
Moment zusammenreimen kann, ist der Unfall noch vor Mitternacht passiert. Die
Rettung wurde wesentlich später alarmiert – anonym. Und da kommen Sie mir mit
Informantenschutz?«
»Es ist unser unverbrüchliches Recht«, sagte der
Chefredakteur. »Oh- ne den Schutz unserer Informanten – und dazu gehört
gegebenenfalls auch ein Fotograf –, also ohne diesen Schutz gäbe es keine
Pressefreiheit.«
»Ich scheiße auf Ihre Pressefreiheit!« Kröninger
war außer sich. Er hatte ohnehin keinen allzu guten Kontakt zu den
Medienleuten. Er verachtete ihr ständiges Bemühen, aus Katastrophen, Tragödien
und dem Leid der Menschen Kapital zu schlagen und damit die Auflagen zu
steigern. Und er hatte einige Vertreter der schreibenden Zunft auf dem Kieker,
weil er sie für verdammte Besserwisser hielt: ewige Kritiker der Justiz und der
Polizeiarbeit, jedoch absolut sprachlos, wenn sich ihre eigenen Thesen wieder
einmal als haltlos herausgestellt hatten.
»Ich bekomme diesen Fotografen wegen
unterlassener Hilfeleistung dran – und Sie gleich mit!«
Er warf den Hörer auf das Gerät, sodass die
Wählscheibe fast in Bewegung geriet. Doch schon im nächsten Moment nahm er ihn
wieder zur Hand, wählte die Nummer eines Chefarztes der Uniklinik, die ihm
bestens vertraut war, und ließ ihn mit der Autorität seines Amtes, seiner
Persönlichkeit
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