Mords-Bescherung
schwer, und seine Finger zitterten. Er
wusste, dass er gerade noch einem Unglück entgangen war. Und wieder sah er das
Gesicht seiner kleinen Tochter und die Augen seiner Frau. Beruhigen konnte ihn
das nicht.
Er verfluchte seinen Job, und er verfluchte die
Redakteure, die rauchend in ihrem Großraumbüro saßen und nicht Kopf und Kragen
riskieren mussten, um ihr Geld zu verdienen. Und er bedauerte sich selbst,
nicht Reise- oder Modefotograf geworden zu sein, sondern nur ein gottverdammter
Paparazzo, der angesehenen Geschäftsleuten nachspionierte, die Schulmädchen
fickten.
Der Adrenalinstoß hatte ihn hellwach gemacht. Es
war ihm, als hätte er drei Caffè corretto con Cognac hinuntergekippt und wäre
jetzt in der Lage, die ganze Nacht und den folgenden Tag pausenlos
durchzufahren. Doch aus Erfahrung wusste er, dass dieser Zustand nicht ewig
anhalten würde. Im Gegenteil, bald würde der überstandene Schrecken seinen
Tribut fordern. Zum Glück war es nicht mehr weit.
In einer halben Stunde bin ich zu Hause, dachte
er. Und dann leg ich mich ins Bett, kuschle mich an ihren warmen Körper und
lass mich vom Rest der Welt am Arsch lecken.
Wie hätte er ahnen können, dass er vom Adrenalin,
das wie eine Droge wirkte, noch eine Überdosis abbekommen sollte?
* * *
Die Straße war feucht, und die Nacht war
kalt. So kalt, dass die Nässe in einigen waldbeschatteten Kehren zu gefrieren
begann. Spiss ließ den Wagen elegant durch die Annemarie-Moser-Pröll-Kurven
gleiten. Er selbst hatte dieser weichen Kurvenfolge unterhalb der Europabrücke
den Spitznamen gegeben: Sie waren in ihrer Aneinanderreihung so gleichmäßig wie
die Schwünge der prominenten Skifahrerin auf einem steilen Hang.
Spiss genoss es jedes Mal, sein Auto durch diese
Kurven zu steuern, Riesenslalom zu fahren und zu spüren, wie der starke Motor
den schweren Wagen durch die Biegungen schob. Er genoss es sehr, und an diesem
Abend noch mehr als sonst. Es war ein ganz besonderes Gefühl, neben sich ein
nacktes Mädchen sitzen zu haben und ihre Hand an seinen Genitalien zu spüren.
Spiss war stolz auf sich. Er hatte es zu etwas
gebracht. Firma, Familie, Erfolg, Vermögen. Und eine Geliebte, von der andere
aus seiner Generation nur träumen konnten.
Er dachte ein paar Augenblicke an die Zeit, als
er sechzehn oder siebzehn gewesen war, heftige Akne im Gesicht, die Haare
widerspenstig gegen jede Art angesagter Frisur – ein junger Kerl, der bei den
Mädchen kaum Chancen hatte, selbst Elli mit den schlechten Zähnen und der
Knollennase hatte ihm einen Korb gegeben, damals beim Tanzkurs im Stadtsaal.
Standardtänze: Samba, Bossa nova, Walzer natürlich. Und Tango. Den kapierte er
überhaupt nicht – und genoss ihn dennoch, bot er doch die für ihn seltene
Gelegenheit, einen Mädchenkörper so dicht an seinem zu spüren. Er roch das Haar
des Mädchens und einen Hauch von Parfüm und den Schweiß in den Achseln. Ellis
Brüste streiften seinen Oberarm, ihr harter Blick traf den seinen – die
unattraktive Elli erregte ihn und war doch unerreichbar.
Spiss’ nur Momente währende Träumerei ließ ihn
die nötige Achtsamkeit vergessen. Im selben Augenblick, da sein Auto ins
Schlingern geriet, war ihm klar, dass mit Glatteisgefahr zu rechnen gewesen
wäre, wie der Grenzer es gesagt hatte. Er erfasste in aller Deutlichkeit, worin
sein Fehler lag. Und er erkannte, dass er die Herrschaft über sein Fahrzeug
verloren hatte. Über sein Fahrzeug und auch über sein und Carlas Leben.
* * *
Tinhofer fuhr vorsichtig in jene
Kurvenabfolge ein, von der er nicht wusste, dass Spiss sie nach einer
Skirennfahrerin benannt hatte. Er fuhr höchstens fünfzig, meist sogar noch
langsamer. Ein gutes Stück vor ihm, einige sanfte Biegungen weiter, sah er die
Rücklichter des von ihm observierten Autos. Und er merkte, dass irgendetwas
nicht stimmte.
Er sah für den Bruchteil einer Sekunde Funken
aufsprühen, sah Bremslichter aufleuchten, sah dann die Lichter ihre Richtung
verlieren, schlingernd über die Straße tanzen. Keine Frage: Spiss’ Wagen
schleuderte, stieß rechts gegen die Leitplanken, wurde zurückkatapultiert und
rammte auf der anderen Seite die Felsen, die hier die Fahrbahn begrenzten.
Tinhofer verlor das erschreckende Schauspiel in
der nächsten Biegung aus den Augen. Doch danach war er dem außer Kontrolle
geratenen Wagen näher gekommen, sah mit noch größerer Deutlichkeit, was da vor
ihm geschah. Und sogar die Insassen des Wagens meinte er erkennen zu
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