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Mein Schwein pfeift

Mein Schwein pfeift

Titel: Mein Schwein pfeift Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Springenberg/Michael Bresser
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    M it einem diabolischen Grinsen hielt er einen Revolver an Karin Schumanns Schläfe und drückte ab. Benommen vom fürchterlichen Knall, sah ich, wie sie blutüberströmt zu Boden sank.
    »Ganz ruhig, ganz ruhig«, versuchte ich zu retten, was nicht zu retten war, denn von Ruhe konnte keine Rede mehr sein. Mit einem Aufschrei wechselte er die Knarre in die linke Hand und zielte auf mich.
    »Verrecke, du Judas!« Dann betätigte er den Abzug.

    Begonnen hatte alles bei LUM. Das Kürzel stand für »Lebensmittel und mehr«. Hatte heutzutage nicht jede zweite Firma den Namenszusatz »und mehr« — wenn auch meist auf Neudeutsch? Das sollte Interesse wecken, die Neugier reizen, neue Kundengruppen anlocken wie eine Eier legende Wollmilchsau. Blickte man jedoch hinter die Kulissen des Slogans, wurde einem schnell klar, dass sich dieses »mehr« auf eine zusätzliche Schaschliksauce in der Pommesbude oder einen dreihundertprozentigen Nachtzuschlag beim Schlüsseldienst beschränkte. Ein leeres Wort also wie »Krise«. Ich glaubte keinem der Wirtschaftsweisen, Fernsehkommentatoren und anderen Propheten, die Deutschland und die Welt in den Abgrund reden wollten. Konnte man wirklich von Krise sprechen, wenn Sir Elton Johns Vermögen von fünfundsiebzig auf dreißig Millionen schrumpfte?
    Ich jedenfalls blickte voller Optimismus in die Zukunft, auch wenn sich tatsächlich nicht leugnen ließ, dass eine Konjunkturdelle ein kleines Loch in meinen Kontostand gefressen hatte. Kein Grund zur Panik, denn normalerweise profitierte das Privatschnüfflergewerbe von trüben Zeiten. Unternehmer brauchten uns, um die schwarzen Schafe aus der Arbeitnehmerschar auszusortieren. Die Behörden brauchten uns zur Überführung emsiger Hartz-IV-Schnorrer und die Politiker, um dunkle Flecken auf den Westen der Konkurrenten sichtbar zu machen.
    Um aus eigener Initiative die Talsohle zu verlassen, hatte ich bei besagter Dülmener Discounter-Filiale als Ladendetektiv angeheuert. Die kärgliche Bezahlung reichte zumindest aus, um meine laufenden Kosten zu decken. Bei dieser Kette meinte das »mehr« übrigens allerlei Ramsch wie von indonesischen Kinderhänden liebevoll gewebte Kleidung, von rumänischen Strafgefangenen sorgfältig konstruierte Tupperimitate und von deutschen Dumpinglohnempfängern gefertigte Haushaltsgeräte. Made in Germany, das zählte noch was. Ein automatischer Apfelschäler für einen Euro konnte so verkehrt nicht sein, dachten viele Kunden, und das war LUMs Geschäft.
    Meine Tätigkeit stellte sich ziemlich schnell als trostloser Job heraus. Stundenlang auf Überwachungsmonitore glotzen und mindestens fünf Langfinger pro Schicht liefern. Aber wie konnte ich diese Quote erfüllen, wenn die Leute zu wenig klauten? Im Grunde war der Westfale ein ehrlicher Knochen. Leider, musste ich aus geschäftlicher Sicht konstatieren.
    Immerhin schnappte ich in meiner ersten Woche um die zwei Schwerverbrecher pro Tag. Meistens Schülerinnen, die fürchteten, ohne den neuesten Lippenstift nicht hip zu sein, oder pickelige Jungen, die sich als Mutprobe einen Kümmerling in die Hosentasche steckten. Während die Mädels sich zumindest die Seele aus dem Leib heulten, wenn ich sie der Polizei übergab, rotzten die Kerle auf meinen Schreibtisch und behaupteten, als Rache exotische Sexualpraktiken mit meiner Schwester, Mutter oder Oma auszuüben. Was waren das für Knilche, bei denen sogar Super-Nanny Katja Saalfrank kläglich versagen würde? Mit einem Eintrag im polizeilichen Führungszeugnis waren sie die Helden der Clique. Die Zeiten änderten sich; nicht immer zum Besten. Mein Fazit: Es machte keinen Spaß.
    Ich redete mir ein, dass bestimmt bald ein Klient seine von der Last der schweren Geldbörse gehemmten Schritte in meine Bulderner Detektei lenken würde, denn nach Heraklit musste jeder gegenwärtige Zustand unausweichlich über kurz oder lang ins Gegenteil umschlagen.
    Doch der Umschwung ließ auf sich warten. Der nie vorhanden gewesene Elan ließ nach, und ich strapazierte meine Augen lieber mit einer Dostojewski-Schwarte als mit Hausfrauen, die Deoroller in BHs verschwinden ließen.
    Ich nahm einen Schluck Kaffee aus meiner Rot-Weiß-Essen-Tasse und blickte flüchtig zum Monitor. Meine Augen wollten sich wieder am Logo meines Lieblingsvereins erfreuen, bewegten sich jedoch zwanghaft zurück. Heike Brand, eine der Kassiererinnen, durchwühlte einen Ramschtisch. Ihre Zivilkleidung ließ darauf schließen, dass sie Feierabend hatte.

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