Mordsberge: Vier Fälle für Kommissar Gabriel (German Edition)
doch nicht einfach hier liegen lassen. So verstreut, wie sieht das denn aus?«
3.
Nachdem Karl Erdhammer ins Präsidium geschafft worden war, ließ sich Gabriel von einem Polizeiwagen zurück in seine Pension fahren. Die Rechtsmediziner würden mit ihrem vorläufigen Bericht noch eine Weile brauchen, und der Ob dachlose sollte erst einmal seinen Rausch ausschlafen. Schließ lich verlangte niemand von ihm, Gabriel, dass er jetzt wie ein Fährtensucher durch München schlich, um den Ort zu finden, an dem Peter Berkens umgebracht worden war. Wenn es sich denn tatsächlich um den Mann handelte. An der Kleidung des Obdachlosen fanden sich keinerlei Blutspuren, andererseits kannte er anscheinend das Opfer. Angeblich hatten sie eine »Geschäftsbeziehung« gehabt. Spielte Erdhammer ihnen den versoffenen Penner womöglich nur vor?
Gabriel hatte seinen bayerischen Kollegen Veitlinger ge beten, schon mal herauszufinden, ob über Peter Berkens oder Karl Erdhammer etwas aktenkundig war.
Er öffnete die Pensionstür und schlich mit Mutter durch den Flur. Wenn wenigstens Sandra schon da wäre, aber die sollte erst im Lauf des Tages zu der Münchner Expedition stoßen. »Assistentin« hatte Kriminalrat Becker sie genannt.
Gabriel hatte nicht einmal lange darum betteln müssen, dass sie ihn bei diesem »Einsatz« begleiten durfte.
»Selbstverständlich«, hatte Becker mit gespitzten Lippen gesagt. »So ein eingespieltes Team kann man ja unmöglich auseinanderreißen.« Und: »Never change a winning team.«
Eine seiner englischen Weisheiten, mit denen er in letzter Zeit allen im Präsidium auf die Nerven ging.
Schon richtig, Gabriel und Sandra waren bei den letzten Ermittlungen einigermaßen gut miteinander ausgekommen. Aber wahrscheinlich schickte Becker die junge Polizistin vor allem mit, weil er aus irgendeinem Grund glaubte, dass sie einen beruhigenden Einfluss auf ihn hatte. Dieser Erfahrungsaustausch zwischen den einzelnen Landeskriminal ämtern stand sicher unter besonderer Beobachtung der Innen minister, und da war eine vernünftige und moderne junge Polizistin genau die richtige Ergänzung für einen alten Polizeihaudegen wie ihn.
Gabriel trat mit dem rechten Fuß auf den äußersten rechten Rand der Stufe, um auf dem Weg nach oben jedes Knarren zu vermeiden.
Plötzlich drang ein durchdringendes, seltsam tierisches Kreischen aus der Küche. Gott, jetzt wird auch noch die Pensionswirtin kaltgemacht, schoss es Gabriel durch den Kopf. Er erwog einen Augenblick, dem Täter sicherheitshalber noch etwas Zeit zu lassen, stürmte dann aber doch in die Küche.
Die Wirtin stand vor einem Holzblock, in der Linken ein zappelndes Huhn und in der Rechten ein Beil. Obwohl bereits ohne Kopf, schlug das Tier wild mit den Flügeln.
»Gib a Ruah, Mistviech«, sagte sie und hielt den tropfenden und zuckenden Körper über die Spüle.
»Gibt’s noch keine Gefriertruhen in Bayern?«, brummte Gabriel. Er fragte sich, woher die Frau hier mitten in München ein lebendiges Huhn herbekommen hatte. Womöglich aus irgendeinem von der Straße nicht einzusehenden Hinterhof.
Die Frau zuckte zusammen, ließ das Huhn auf den Boden fallen und griff sich ans Herz. »Mei, hab i mi erschreckt. Wollns mi ins Grab bringen, Kruzifünferl!«
»Hühnersuppe?«, fragte Gabriel.
»Zur Brotzeit«, sagte sie. »Sie haben doch Hunger, wenn Sie von der Arbeit kommen. Herrschaftszeiten!«
»Ich werde mich jetzt noch eine halbe Stunde aufs Ohr legen. Die Stimmen aus dem Kissen, Sie verstehen?«
»Stimmen? Nix versteh i. Goa nix.«
Gabriel zog seine Sig Sauer aus dem Holster und hielt sie in die Höhe.
»Wer sich in mein Zimmer schleicht, wird abgeknallt, verstanden? Ich brauche zum Nachdenken meine Ruhe.«
Mutter hatte die ganze Zeit über im Flur verharrt. Als Gabriel jetzt versuchte, sie zur Treppe zu schieben, machte sie zunächst keinerlei Anstalten, sich zu bewegen.
»Verfluchter Feigling«, sagte Gabriel. »Geköpfte Hühner, eine Frau mit einem Beil, ich ziehe die Waffe … und du stehst dumm auf dem Flur rum, das ist nicht zu fassen. Was bist du bloß für ein Hund?«
4.
Oberkommissar Veitlinger nickte matt, als Gabriel das Büro betrat. Er erweckte nicht gerade den Eindruck, als hätte er Zeit gehabt, sich aufs Ohr zu hauen.
»Sie können den Schreibtisch da nehmen«, sagte er und deutete, ohne aufzusehen, mit einem Bleistift auf einen nahe am Fenster stehenden Chromtisch.
Mutter trottete unter den Tisch und rollte sich dort
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