Mordspuren - Neue spektakulaere Kriminalfaelle - erzaehlt vom bekanntesten Kriminalbiologen der Welt
offiziell anfragte, ob die Leichen nun »rituell behandelt« – also geköpft – werden dürften, um das »Malum abzuwenden«, wurde sicherheitshalber eine zweite Untersuchung angeordnet. Diese wurde für behördliche Verhältnisse sehr schnell, nämlich nur drei Wochen später, durchgeführt. Die neue, vom Regimentsfeldscherer Johann Flückinger abgehaltene Leichenschau derselben Toten brachte dem Vampirglauben in Mitteleuropa dann den Durchbruch. Flückinger stellte erneut Vampirzeichen, darunter flüssiges Blut und mangelnde Zersetzung, fest. Er erlaubte daher die Tötung der Leichen:
»Nach geschehener Visitation sind den Vampiren durch die anwesenden Zigeuner die Köpfe heruntergeschlagen, samt den Körpern verbrannt, die Asche in den Fluss Morova geworfen und die (anderen, also ›normalen‹) verwesenden Leiber in ihre vorherigen Gräber gelegt worden.«
Diese Geschichte – bestätigt und protokolliert von zwei Ärzten und von der Obrigkeit abgesegnet – schaffte es natürlich sofort in die Zeitungen beziehungsweise Flugblätter. So begann der moderne Vampirglaube in Europa.
Wäre Flückinger nicht ein Feldarzt (Feldscherer) gewesen, der unter anderem die Offiziere rasieren und die Soldaten zur Ader lassen musste, sondern in der Beschau von Leichen ausgebildet, so hätte er sich wohl weniger gewundert. Die »sicheren« Vampirzeichen, die er zu erblicken glaubte, sind nämlich allesamt durch normale Fäulnisvorgänge zu erklären. Die scheinbar »geringe Verwesung« ist in Erdgräbern beispielsweise völlig normal, wenn keine Fliegeneier mit der Leiche vergraben wurden oder es recht kalt ist. Es kann vorkommen, dass Leichen noch nach Wochen im Erdgrab »unzersetzt« erscheinen. Und die Blähung, meist als »Vollsaufen« oder »Fressen« der Leiche angesehen, entsteht durch das von Fäulnisbakterien gebildete Gas. Da dabei auch das gesamte Gesicht aufgebläht wird, ist der Eindruck, die tote Person sei auf einmal feist geworden, durchaus verständlich (siehe auch folgenden Abschnitt).
Calmets Vampirbuch
Eigentlich focht der französische Benediktinerabt Augustin Calmet (1672–1757) mit flammendem Schwert gegen allen Unsinn, der ihm entgegentrat. Zum Glauben an Vampire befand er beispielsweise, dass die »Einbildung derjenigen, welche glauben, sie hören die Todten in ihren Gräbern schmatzen wie ein Schwein, etwas so Einfältiges und Kindisches ist, dass es nicht einmal eine Widerlegung verdient«.
Abb. 4: Eines der einflussreichsten Bücher über Vampire, »der Calmet«, erschien
»cum approbatione superiore«
– mit päpstlichem und königlichem Einverständnis. Der Mönch begründete die Existenz von Vampiren, an die er selbst nicht recht glauben konnte, mit der Allmacht Gottes. (Foto: M. Benecke)
Zum Glück hinderten ihn aber weder seine große persönliche Bescheidenheit (er lehnte sogar den ihm vom Papst angebotenen Bischofstitel ab) noch seine Zweifel am Übersinnlichen daran, »sensationelle« Vampir-, Marienund Geistererscheinungen aus allen ihm zugänglichen Quellen und Zeiten zu sammeln und aufzuschreiben.
Diese Zusammenstellung war für ihn wohl eher eine Fingerübung, da er als Klosterchef, Autor eines bekannten dreiundzwanzigbändigen Kommentars zum Alten und Neuen Testament (erschienen in erster Auflage zwischen 1707 und 1716) sowie zahlreicher Bibelauslegungen, die ins Deutsche, Niederländische, Italienische und Englische übersetzt wurden, wohl ein echter Workaholic war.
Calmets
Erscheinungen der Geister
(siehe Abb. 4, S. 25 ) erhielten im Januar 1746 nicht nur den Segen der Kirche, sondern auch der Pariser königlichen Buchzensur. Sogleich trat der Text seinen Weg in die Nachbarländer an: Schon 1752 war beispielsweise in Augsburg die zweite Auflage der deutschen Übersetzung »mit merckwürdigen Zusätzen, welche im Französischen nicht enthalten« waren, als zweibändiges Werk in Umlauf.
Calmet fragte sich darin vor allem, was Geister überhaupt an- und umtrieb. Denn es war theologisch kaum einzusehen, warum Gott es zuließ oder befahl, dass Seelen und ihre Erscheinungen auf der Erde wandeln. Denn das Fegefeuer, in dem die Toten sich tummeln, fand doch wohl nicht mitten unter uns statt.
Daran, dass es Spuk gab, zweifelte allerdings niemand: Man durfte im damaligen Paris sogar einen Pachtvertrag lösen, wenn Seelen von Verstorbenen im Haus umgingen. Also ertüftelte Calmet eine Erklärung, die alle bekannten Tatsachen unter einen Hut brachte:
Geister, die zweifellos
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