Morgaine 1 - Das Tor von Ivrel
mehr.
Man hatte ihn von Luo bis nach Ethrith-mri gejagt, und er hatte sich nur einmal zum Kampf gestellt. Hügel um Hügel hatten sie ihn gegen die Berge des Südens getrieben. Er floh nun ganz bereitwillig, obwohl er schwach vor Hunger war und kaum noch Korn für das Pferd hatte. Aenor lag hinter den nächsten Anhöhen. Die Myya hatten nichts übrig für den Ris in Aenor-Pywn und würden es nicht wagen, sein Gebiet zu betreten.
Erst spät erkannte er die Beschaffenheit der Straße, auf der er zu reisen begonnen hatte; es war eine alte
qujalin
-Straße und nicht der Weg, den er gesucht hatte. Von Zeit zu Zeit klirrte das Pflaster unter den Hufen der braunen Stute. Da und dort erhoben sich Steine am Wegrand, und seine Befürchtung, daß er sich den toten Orten, den verwunschenen Orten näherte, nahm zu. Eine Zeitlang schneite es, der Schnee ließ alles unter seinem Weiß verschwinden und behinderte die Verfolger (so hoffte er wenigstens). Vanye verbrachte die Nacht im Sattel und wagte erst gegen Morgen ein wenig zu schlafen, nachdem die Dickichte zur Ruhe gekommen waren und er keine Angst vor Wölfen mehr hatte.
Dann ritt er den langen Tag hindurch die Aenor-Seite des Passes hinab, schwach und krank vor Hunger.
Und schließlich erreichte er ein Tal voller hochaufragender Steine.
Kein Zweifel, daß
qujalin-
Hände diese Monolithen errichtet hatten. Hier war Morgaines Tal, das wußte er nun, er erkannte es nach den Liedern und den angstvollen Gerüchten. Es war ein Ort, den kein Mann aus Kursh oder Andur unbeschwert zur Mittagsstunde durchritten hätte, dabei sank die Sonne bereits schnell der Dunkelheit entgegen, während von den Höhen in seinem Rücken eine neue Wolkenbank herabrollte.
Er wagte einen Blick zwischen die Säulen auf dem Gipfel des konischen Hügels, der Morgaines Grab genannt wurde. Die untergehende Sonne schimmerte dort wie ein in einem Netz gefangener Schmetterling, zerrissen und flatternd. Dies war die Auswirkung des Zauberfeuers, ähnlich dem großen Zauberfeuer auf dem Ivrel-Berg, über den der Hjemur-Lord herrschte, ein Beweis, daß die
qujalin-
Kräfte da und dort noch nicht verlöscht waren.
Vanye zog sich den zerrissenen Mantel über die in das Kettenhemd gehüllten Schultern und spornte das erschöpfte Pferd zu schnellerer Gangart an, vorbei an dem Gewirr unheimlicher Steine am Fuße des Hügels. Die blonde Hexe hatte im Krieg ganz Andur-Kursh erschüttert, hatte die Hälfte der Mittelländer Thiye Thiyessohn in die Arme getrieben. Hier war die Luft noch immer geladen; er wußte nicht zu sagen, ob mit der Kraft der Steine oder mit der Erinnerung an Morgaine.
Als Thiye Lord in Hjemur war, Fünf Fremde ritten ins Land
Drei dunkel, einer golden von Haar Und einer wie Eis so blond.
Die Hufschläge auf dem verharschten Schnee bildeten das Echo zu den alten Versen, die ihm durch den Kopf gingen, ein ungeeignetes Lied für diesen Ort und diese Stunde. Noch viele Jahre nachdem die Welt sich frohgemut von Morgaine Frosthaar verabschiedet hatte, waren Geistesgestörte an die Öffentlichkeit getreten mit der Behauptung, sie gesehen zu haben, während andere aussagten, sie schlafe nur und warte darauf, eine neue Generation von Menschen in die Vernichtung zu führen, so wie sie schon einmal Andur in Irien vernichtet hatte.
Eine Frau war es, ihr Blond Gefahr, Verflucht, wer ihr nur lauschte.
Nun gibt es Wolf genug, der Mensch ist rar Und der Winter steht vor der Tür.
Wenn der Berg tatsächlich Morgaines Gebeine enthielt, war er ein passendes Grab für ein Wesen ihres alten unmenschlichen Blutes. Selbst die Bäume wuchsen hier gekrümmt, wie überall in der Nähe der Steine der Macht, als wirke ihre Gegenwart sogar auf die geduldigen Bäume verformend ein, wie Seelen, die in der ständigen Gegenwart des Bösen verkümmern und sich ducken. Die Hügelspitze war kahl; dort gediehen überhaupt keine Bäume.
Vanye war froh, als er den schmalen Bacheinschnitt zwischen den Hügeln durchquert und die Steine hinter sich gelassen hatte. Und plötzlich sah er vor sich ein Zeichen, daß ihm endlich einmal das Glück hold war, daß der Himmel und das Land seiner Cousine von Aenor-Pywn ihm Sicherheit versprachen. – Eine kleine Herde Rehwild wanderte am kleinen Bach durch den Schnee und fraß hungrig die kleinen roten
howan-
Beeren aus dem Dickicht.
Dies war ein Land, das sich wohltätig vom strengen Cedur Maje oder von Gervaines Morij Erd unterschied, wo oft sogar die Wölfe Hunger litten, denn
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