Morgenrot
den vor ihr liegenden Raum, und schon in der nächsten Sekunde sprang sie den Abhang hinunter und verschwand in der Dunkelheit.
Der Kollektor schrie entsetzt auf und schickte der Geflüchteten einen Pistolenschuss hinterher. »Fängt er es wohl wieder ein!«, brüllte er Randolf an.
Doch der Riese machte nicht die leisesten Anstalten, hinter Agatha herzujagen. Stattdessen lauschte er konzentriert in den Raum hinein, und wie zur Antwort ertönte ein tiefes Brummen. Irgendwo im Steinmassiv setzte sich etwas in Bewegung, ganz gemächlich. Mit unbeirrbaren Fingern fraß es sich durchs Gestein.
Der Kollektor ließ ein frustriertes Stöhnen vernehmen. Mit hölzernen Bewegungen richtete er sich auf und hielt auf den Abhang zu. Als Lea in sein Blickfeld geriet, blieb er plötzlich stehen. Er richtete die Waffe auf sie und zeigte auf den Stahlkorb.
»Ohne Kollektor keine Sammlung!«
Lea hätte vor Wut aufheulen mögen, als sie sich in Bewegung setzte.Warum lief es stets darauf hinaus?
In der Ecke rappelte sich gerade Adam wieder auf, was auch Randolf mit einem resignierenden Schnaufen bemerkte. Er drehte Adam einen Arm auf den Rücken und half ihm auf diese brutale Art auf die Beine.
Unterdessen bugsierte der Kollektor eine zähneknirschende Lea in den Stahlkorb und trat anschließend selbst hinein. Er platzierte sich seitlich hinter Lea und bohrte ihr drohend die Waffe in den Rücken, so dass eine abgefeuerte Kugel direkt ihren rechten Lungenflügel durchschlagen würde.Vielleicht wäre es doch besser gewesen, das Geschenk des Dämons anzunehmen, dachte sie verzweifelt. Unsterblich zu sein war in dieser verrückten Welt nicht unbedingt das Verkehrteste.
Der Kollektor griff an ihr vorbei und verriegelte die Tür. Zuvor glitt sein sehnsüchtiger Blick noch einmal den Abhang hinunter. Doch Agatha war verschwunden. Dafür ertönte irgendwo im Tunnel ein mächtiges Grollen und Tosen, das unleugbar auf sie zuhielt.
Der Riese war gemeinsam mit Adam zum Schalthebel gegangen und hatte diesen bereits umlegt. Adams vor Entsetzen geweitete Augen hingen an Lea, als der Stahlkorb vom Boden abhob.
»Er kann dann ja später nachkommen«, sagte der Kollektor großzügig an Randolf gewandt. Aber in sein Gesicht hatte sich ein Lächeln geschlichen, als hätte er eben einen guten Witz gemacht.
»Ich glaube nicht«, entgegnete Randolf und gab unvermittelt Adams Arm frei. Augenblicklich preschte der auf den Stahlkorb zu, die Arme weit vorgestreckt.
In dem Moment, als der Stahlkorb im Schacht verschwand, erfüllte ein ohrenbetäubendes Dröhnen das schmale Plateau. Als werde sie von einer magischen Hand angetrieben, brauste eine schwarze Flut den Schacht empor. Der vorauseilende Schall merzte jedes andere Geräusch aus, als das Wasser sich mit Gewalt seinen Weg bahnte: eine riesige Wasserschlange, die den Stahlkorb wie eine leichte Beute im Vorbeieilen verschluckte.
Bevor Lea das Ausmaß der Gefahr erkennen konnte, war ihr zum Schrei aufgerissener Mund mit Wasser gefüllt. Doch all das war nichts im Vergleich zu der Panikattacke, die sie erfasste, als ihr der Sauerstoff auszugehen drohte. Hirn und Lungen drohten zu implodieren.
Einen Augenblick später durchstieß der Korb die brodelnde Wasseroberfläche, und Lea schnappte verzweifelt nach Luft. Dann glitt der Stahlkäfig zurück ins kalte Nass. Sie wurde erneut gegen den Kollektor geschleudert, der kraftlos neben ihr hertrieb.
Während unter ihr die Schwärze gähnte, streckte Lea sich im aufgewühlten Wasser nach der Helligkeit aus wie eine Blume nach der Sonne. In ihrer Verzweiflung stieg sie auf den Körper des Kollektors als notwendigen Untergrund, um den Wasserspiegel zu durchbrechen. Zwischen Stahl und Wasser war gerade genug Platz für ihren Kopf.
Einige Male atmete Lea gierig ein, als ginge es darum, ausreichend Luft für einen weiteren Tauchgang zu speichern, bis sie feststellte, dass der Pegel langsam sank. Das Wasser wich zurück, und die Luft, die ihre Haut berührte, war ein warmes Versprechen.
Trotzdem verharrte sie in dieser Position, die Hände um die Stäbe gekrallt und ganz aufs Atmen bedacht, während der Rest ihres Körper mit dem Pegel des Wassers auf die Längsseite des Stahlkäfigs niedersank, die nun zum Boden geworden war. Die Kälte hatte ihre Glieder geschwächt, und sie war zu keiner weiteren Kraftanstrengung mehr fähig.
Als einige leichte Stöße den Käfig erzittern ließen, gelang es ihr nur mühsam, die Augenlider zu heben. Die Umgebung war
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