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Morgenrot

Morgenrot

Titel: Morgenrot Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tanja Heitmann
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daran gewöhnt, mehrere Male pro Tag vor Furcht zu erstarren.
    An diesem Abend in der Bar war es Lea zum ersten Mal seit langer Zeit gelungen, das sensible Suchraster in ihrem Kopf einzudämmen. Doch jetzt kehrte die Aufmerksamkeit allmählich wieder zurück und zerstörte das Gefühl, Teil der berauschten und flirtenden Menge zu sein. Sie wurde wieder die Lea, die sich an öffentlichen Orten nur sicher fühlte, wenn sie sämtliche Fluchtwege im Auge behielt. Die Lea, die seit Jahren einfach alles unter Kontrolle haben musste.
    Ihre Fingen fuhren über die rötlich schimmernden Vernarbungen auf ihrer Wange. Es sah aus, als habe sie ein feiner Funkenregen gestreift. Zwar waren die Narben schon leicht verblasst und nur auf den zweiten Blick unter dem sorgfältig aufgetragenen Make-up zu erkennen, aber ihre Fingerspitzen kannten jede einzelne Vertiefung, so oft waren sie schon über sie hinweggeglitten.
    Lea spürte einen Anflug von Bitterkeit, schüttelte ihn jedoch mit einem Seufzen ab.Was nützten schon die ganzen Überlegungen? Schließlich hatte sie noch nie zu diesen hingebungsvoll feiernden Wesen gehört, die sich mit Haut und Haaren auf den Moment einlassen konnten Terminator-Radar hin oder her.
    Der spezielle Zauber, der einen auf den Tischen tanzen und flirten ließ, war Lea einfach nicht gegeben.
    Nun, vielleicht nicht ganz. Denn nach wie vor gab es einige unbeugsame Bereiche in ihrem Inneren, die rebellierten und Lea in Versuchung führten: Ich habe eine anstrengende und erfolgreiche Woche im Verlag hinter mir, dachte Lea. Nach dem großartigen Abschluss heute habe ich ein Recht auf etwas Vergnügen. Diese Bar ist so ein pulsierender und aufregender Ort. Erstaunt stellte Lea fest, wie sich bei diesen Gedanken ihre Rückenmuskulatur entspannte. Dermaßen ermutigt, spann sie den Gedanken fort: Und die gute Nadine ist heute Abend ganz besonders entzückend. Ich darf ihr auf keinen Fall schon wieder einen Strich durch die Rechnung machen, indem ich an meinem Wein nippe und mich nach zehn Minuten mit einer fadenscheinigen Ausrede aus dem Staub mache. Das hat sie nun wirklich nicht verdient, nachdem sie immer so geduldig mit mir ist.
    Entschlossen stürzte Lea den letzten Schluck Rose hinunter und bestellte einen weiteren bei dem ausgesprochen attraktiven Kellner. Kurz flackerte die alte Furcht auf, doch Lea schob sie beiseite. Sie wollte sich amüsieren, mit ihrer Freundin plaudern und lachen. Punkt.
    Mit einer betont lässigen Geste nahm Lea das volle Weinglas entgegen und schenkte dem Kellner ein umwerfendes Lächeln, um im nächsten Moment überrascht zu Boden zu schauen. Wer hätte nach all der Zeit gedacht, dass sie zu so etwas imstande sei? Hätte sie dieses verführerische Lächeln auch nur eine Sekunde länger aufrechterhalten, dann wäre der Kellner, dessen Hintern alle weiblichen Gäste mindestens schon einmal an diesem Abend mit entrücktem Blick begutachtet hatten, am Ende noch neben ihr niedergesunken.
    Verwirrt drehte sich Lea zu Nadine um, die ebenfalls einen verblüfften Eindruck machte, sich aber wesentlich schneller wieder unter Kontrolle hatte. »Meine süße Lea«, sagte Nadine mit einem anzüglichen Lächeln, »das war ja eben ganz großes Kino. Verrätst du mir, wie lange du für diesen Auftritt vorm Spiegel geprobt hast?«
    »Niemals«, erwiderte Lea lachend und prostete ihrer Freundin zu.
    Der Wein prickelte auf ihrer Zunge, und ein zufriedenes Lächeln bereitete sich auf Leas Gesicht aus. Die Zeit flog dahin, während sie sich zusehends entspannte und dem unterhaltsamen Geplauder ihrer Freundin lauschte - bis es plötzlich ins Stocken geriet. Es dauerte ein wenig, bis Lea in ihrer Trägheit bewusst wurde, dass ihre Freundin schwieg. Neugierig musterte sie Nadines Gesicht, auf dem sich verzückte Erregung spiegelte: Die rot geschminkten Lippen waren vor Anspannung geschlossen und zitterten leicht, und ihr stets Energie versprühender Körper vibrierte vor Anspannung. Noch wurde die Beute beobachtet, aber gleich würde Nadine aufspringen und sich ohne Gnade auf sie stürzen.
    »Er schaut schon eine ganze Zeit lang in unsere Richtung«, sagte Nadine und bestätigte damit Leas Vermutung. Dabei gingen die einzelnen Worte wegen ihrer unversehens heiser gewordenen Stimme beinahe im Lärm der Bar unter. »Also, er ist recht groß. Netter Anzug, toller Körperbau und ein klassisches Gesicht, wirklich ganz erstaunlich schön geschnitten. Leider hat er das Haar zurückgekämmt ... Ich weiß nicht

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