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Mozarts letzte Arie

Mozarts letzte Arie

Titel: Mozarts letzte Arie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Matt Beynon Rees
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Trauergasts. Als sie mich vorstellte, verzogen sich seine schmalen Lippen zu einem matten Lächeln.
    «Mein Bruder hat mir von Ihrer Freundschaft und Ihrem Talent geschrieben, Herr Stadler», sagte ich. «Beides hat er aufs Höchste geschätzt.»
    Seine Augen blickten schmerzlich und wehmütig, als hätte ich eine Anschuldigung vorgebracht, die er nicht bestreiten konnte. Wolfgang hatte in seinen Briefen oft davon geschwärmt, dass Stadler die Töne aus seiner Klarinette wie menschliche Stimmen erklingen lassen konnte. Mir gegenüber versagte dem Virtuosen jedoch die Stimme.
    Er fasste meine Hand und verneigte sich.
    Constanze führte ihn zur Couch. «Nannerl ist heute angekommen, Anton», sagte sie und hockte sich neben ihn auf die Polsterkante.
    «Ich würde so gern
Die Zauberflöte
sehen. Allein deshalb bin ich angereist.» Über Gift wollte ich mit Stadler nicht reden. Noch nicht. «Ich wollte die letzte Gelegenheit wahrnehmen, das Werk meines Bruders auf der Bühne zu sehen.»
    «Letzte Gelegenheit?» Er sprach mit unpassender Heftigkeit, was ich befremdlich fand. «Madame, hegen Sie so wenig Vertrauen in die künftige Beliebtheit seines Werks? Es wird länger lebendig bleiben als diese unsere Stadt.»
    «Sie haben recht, natürlich. Aber ich reise nur sehr selten.Ich bezweifele, dass es eine Aufführung in meinem abgelegenen Dorf geben wird, ganz gleich wie lange Wolfgangs Ruhm währt.»
    Stadler verschränkte die Arme. «Constanze, ich bin gekommen, um das Konzert von morgen Abend zu besprechen. Ich habe den Saal in der Akademie der Wissenschaften gebucht.»
    «Wunderbar. Das ist wirklich lieb von dir, dass du das Benefizkonzert zugunsten meiner Kinder organisierst, Anton. Ich werde eine Arie singen und meine Schwester Josefa auch.»
    «Ich habe für das Konzert ein Orchester von nicht weniger als sechsunddreißig Musikern zusammengestellt», sagte er. «Wir führen Wolfgangs letzte Symphonie auf. Maestro Salieri hat sich bereit erklärt zu dirigieren. Wir würden auch gern eins von Wolfgangs Klavierkonzerten spielen. Als Solistin habe ich an Fräulein von Paradis gedacht.»
    Constanze ergriff seine Hand. «Paradis ist natürlich ganz außerordentlich. Aber du vergisst, welche Begabung uns heute in den Schoß gefallen ist.»
    Ich errötete nervös und aufgeregt. Ich war seit Jahren nicht mehr aufgetreten.
    Stadler presste einen Fingerknöchel gegen die Zähne und sah mich stirnrunzelnd an. «Meinen Sie, dass Sie …?»
    Es war schon lange her. Aber sechsunddreißig Musiker? Es würde sich ein gewaltiger Kontrast ergeben zwischen dem großen, stattlichen Klangkörper des Orchesters und dem zarten Klang des Soloklaviers. Bei der Vorstellung, dass es mir möglich sein könnte, meine Kunst in Wien zu beweisen, überkam mich Versagensangst, aber im gleichen Moment auch Begeisterung. «Es wäre mir eine Ehre, mein Herr.»
    Er zögerte. Vielleicht zweifelte Stadler nach meiner langen Abgeschiedenheit in den Bergen an meinen musikalischen Fähigkeiten. Mir ging es ebenso. Aber er wollte Constanze nicht enttäuschen. «Dann also sein Konzert in C-Dur.»
    «In C?» sagte ich. «Es gibt vier. Welches?»
    Stadler summte das Thema des zweiten Satzes des Konzerts, wobei er die Hand durch die Luft gleiten ließ, als würde er die Musik dirigieren. «Natürlich das schönste.»
    «Ja, das schönste», sagte ich. In meinem Kopf hörte ich das
Andante
und spielte mit den Fingern auf meinen Beinen, als klimperte ich die trällernde Melodie. Es war so schön, dass mir die Tränen kamen. Ich hob die Hand, um sie zu verbergen.
    «Wollen wir also morgen früh proben? In meinem Haus, Judenplatz Nummer 3.»
    «Ich werde bereit sein.»
    Constanze klatschte in die Hände. «Wie wunderbar. Wolfgangs Vergnügen wäre vollkommen.»
    «Ich bin froh,
dich
so glücklich zu sehen, Constanze.» Stadler blickte grimmig drein. Ihm schien es gegen den Strich zu gehen, seinen Freund als glücklich zu bezeichnen, als sei Wolfgangs Tod so tragisch gewesen, dass er auf ewig jedes Vergnügen aus seinem Leben getilgt hätte.
    «Dann könntest du vielleicht auch noch etwas anderes vollenden, was von Wolfgang stammt», sagte meine Schwägerin. Sie griff nach dem Papier, auf dem Wolfgang von seiner
Grotte
geschrieben hatte. Ich gab es ihr, und sie reichte es an Stadler weiter. «Was kannst du mir darüber sagen?»
    Stadler las.
    «Anton, du warst Wolfgangs bester Logenbruder», sagte Constanze. «Er hat alles mit dir geteilt. Du musst doch wissen, was er

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