Mozarts letzte Arie
Manieren belästigt zu werden.» Er warf dem anderen Mann einen Blick zu, verneigte sich und ergriff meine Hand zum Kuss. Als er sich wieder aufrichtete, zögerte er und blickte, den Kopf nach rechts geneigt, auf mich hinab. Er hob den Zeigefinger und lächelte. «Ah, Madame Berchtold, wenn ich mich nicht irre.»
«Ganz recht, mein Herr.»
«Oder, wie ich Sie von meinen Reisen durch Salzburg lieber in Erinnerung behalten möchte, Nannerl. Die kleine Nanna Mozart.» Er ergriff meine Hände. «Gieseke, das ist Wolfgangs Schwester. Gib ihr Punsch.»
Gieseke schlurfte zu einem Tresen an der Rückwand und schenkte aus einem Keramikkrug ein Glas voll. Er beobachtete mich ununterbrochen, was mich enerviert hätte, wenn nach der befremdlichen Begegnung mit Stadler Schikaneders Begrüßung nicht so herzlich ausgefallen wäre. Ich erwiderte sein Grinsen, als er von seinem Besuch im Haus unserer Familie erzählte.
«Wenn ich mich recht entsinne, habe ich 1780 fünf Monate in Salzburg verbracht», sagte er zu Gieseke. «Ich hatte damals meine gesamte Truppe dabei, und wir haben mit großem Erfolg unser komplettes Repertoire aufgeführt. Singspiele, Ballette, ein gewagtes Stück von Monsieur Beaumarchais. Natürlich habe ich auch meinen Hamlet gegeben. Aber die Höhepunkte meines Aufenthalts waren die Abende mit derFamilie Mozart in ihrem Haus. Der junge Wolfgang und seine talentierte Schwester improvisierten mit Feingefühl und Ausdruck am Klavier. Ich habe der Familie für alle meine Auftritte Freikarten geschenkt, weißt du.»
«Ein Akt ungewöhnlicher Großzügigkeit», sagte Gieseke.
Er reichte mir ein klebriges Glas, das entweder nicht abgespült oder von seinem Griff verschmutzt war. Nach der Kutschfahrt taute mich der warme Punsch auf, und ich nahm Schikaneders Einladung an, mit ihnen ein leichtes Mittagessen einzunehmen. Ich setzte mich an den Tisch, während er auf die Veranda ging und nach seinem Dienstmädchen rief.
Gieseke lehnte an der Wand; sein Körper verschwand im Schatten. «Ihr Gesicht», sagte er.
Ich starrte in seine dunkle Ecke.
«Nein, nicht bewegen», sagte er. «So, wie Sie gerade waren. Wenn Sie Ihr Kinn heben, wirft die Laterne störende Schatten.»
Ich blickte auf meine Hände auf der rauen Kiefernplatte des Tischs.
«Sie sehen Wolfgang derart ähnlich, dass es fast schon unheimlich ist», flüsterte Gieseke. «Es ist beinah so, als wären Sie sein Geist.»
Mein Lächeln war nicht sonderlich amüsiert. «Sie haben doch gesehen, wie mir Herr Schikaneder die Hände gedrückt hat. Für einen Geist bin ich doch wohl zu lebendig, finden Sie nicht?»
«In Wien müssen sogar die Geister tüchtige Heuchler sein. Vielleicht sind Sie ja nur ein schlaues Phantom.»
Ich nippte am Punsch. Der Rum darin überwog. Beim Schlucken musste ich von dessen Schärfe husten.
«Schmecken Sie den Rum? Es ist aber auch Port, Branntwein und Arrak drin. Lassen Sie sich nicht von der Süße täuschen»,sagte Gieseke. «Wenn Schikaneder seinen Punsch zuckersüß macht, heißt das noch lange nicht, dass Sie nicht unter den Tisch kippen, wenn Sie’s übertreiben.»
Ich hustete noch einmal.
Schikaneder kam zurück. «Ah, der Punsch. Zum Wohl! Auf Ihre Gesundheit. Ja, ja, das ist ein starkes Gebräu. Wolfgang hätte Ihnen davon ein Lied singen können. Stimmt’s, Gieseke?»
«Ich habe nie gesehen, dass er zu viel Alkohol zu sich genommen hätte, außer unter Ihrer fachkundigen Anleitung», sagte Gieseke.
«Wohl wahr. Er war ein höchst bescheidener kleiner Geselle.» Schikaneders Lippen zuckten, und er senkte die Stirn wie jemand, der höchstes Vergnügen empfindet. Er riss die Augen auf und schien in den Schatten der Zimmerecken nach etwas zu suchen. «Sein Geist folgt mir überallhin.»
Gieseke lachte. «Dann muss er verdammt sein.»
Schikaneder drohte dem jüngeren Mann mit dem Finger, und er hörte auf zu lachen.
«Verdammt kann er niemals sein», sagte Schikaneder. «Ich bin fünf Jahre älter als er war. Stell dir vor, was er noch alles hätte schaffen können, wenn sein Leben auch nur so viel länger gedauert hätte.»
Ich hustete mich durch einen weiteren Schluck Punsch. Die Hitze stieg mir bis in die Haarwurzeln. «Machte Wolfgang einen zufriedenen Eindruck, bevor er starb?»
«Er neigte nicht dazu, sich seine Gefühle anmerken zu lassen, wie Sie ja sicherlich wissen», sagte Schikaneder. «Außer wenn er von der Musik besessen war. Dann überkam ihn ein Freudentaumel, der ihn vom Instrument
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