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Mozarts letzte Arie

Mozarts letzte Arie

Titel: Mozarts letzte Arie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Matt Beynon Rees
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warf es in den offenen Deckel des Klaviers.
    «Um Himmels willen, Frau, wollen Sie, dass wir alle so enden wie Wolfgang?», rief er.
    Das Papier verursachte eine weiche, metallische Kadenz, als es über die Drähte im Klavier rollte.
    Stadler drehte sich, die Hände vorm Gesicht, mitten im Raum im Kreis.
    Angesichts seines plötzlichen Ausbruchs bekam ich es mit der Angst zu tun. Doch war ich auch zufrieden. Ich hatte recht daran getan, nach Wien zu kommen. Etwas war hier faul.
    Stadler holte tief Luft, verbeugte sich hastig und ging. An der Tür holte Constanze ihn ein, aber er drückte sich an ihr und dem Baby an ihrer Schulter vorbei. Er riss dem Dienstmädchen seinen Hut aus der Hand, knallte die Tür hinter sich zu und stürmte die Treppe hinab.
    Ich beugte mich über das Klavier, nahm das Papierknäuel heraus und glättete es auf dem Umschlag des
Wohltemperierten Klaviers.
Als ich es hochnahm, vibrierte es in meiner zitternden Hand. Ich schob es in die Tasche meines Kleids.

4

    Vor dem Freihaus zahlte ich dem Kutscher fünfzehn Kreuzer für die Fahrt hinaus in die Vorstadt. Es war fast Mittag. Die Fahrspuren auf der Straße waren festgefroren. Ich schlitterte über den vereisten Matsch zum Tor, wo ausgestreutes Stroh das Gehen einfacher machte.
    Ich gelangte in einen großen Innenhof. Darin waren Blumenbeete angelegt, die jetzt kahl waren, aber im Sommer zweifellos sehr hübsch sein mussten. Die Dornen der nackten Rosenbüsche schimmerten mattgrau wie das angelaufene Silber alter Messer. Verblichene, braune Grasbüschel ragten aus dem Schnee. Jenseits des Rasens erhob sich ein großes Steingebäude mit rotem Ziegeldach – das Theater. Die lindgrüne Doppeltür war geschlossen. Ein gedrucktes Plakat kündigte Aufführungen der
Zauberflöte
an.
    In der Hofmitte stand ein kleiner Pavillon mit einer Veranda an der Vorderseite. Das Holz war so dunkel wie Tabak. Rauch stieg aus dem Schornstein, und um ihn herum war der Schnee kreisförmig geschmolzen. Ich war nach Wien gekommen, um Wolfgangs Tod zu untersuchen, aber Constanzes Loblied auf
Die Zauberflöte
erweckte in mir den Wunsch, mehr über sein Leben zu erfahren, denn er hatte wahrlich in seiner Musik gelebt. Derlei ging mir durch den Kopf, als ich mich der Holzhütte näherte, um mich nach Herrn Schikaneder zu erkundigen.
    Eine gereizte Stimme antwortete auf mein Klopfen. Als ich eintrat, blinzelte mir ein teigiges Gesicht misstrauisch entgegen.
    Der Mann trug einen schwarzen Gehrock aus Kammgarn mit Silberknöpfen. Am unteren Saum wies der Rock Flecken auf, die vielleicht von Rahm stammten. Sein weißes Hemd stand oben offen, und eine ungebundene Krawatte baumelte ihm um den Hals. Im Schein der Laterne auf dem Tisch schimmerte auf seiner bleichen Brust ein Schweißfilm. Er strich sich durchs strohblonde Haar, das schütter war, obwohl er nicht älter als dreißig zu sein schien. «Ja?», sagte er.
    Die Luft roch nach warmem Branntweinpunsch mit einer hefeartigen Spur von verschüttetem Bier. Ich nahm an, dass es sich um den Raum handelte, in dem die Sänger und Schauspieler nach ihren Auftritten noch bis spät in die Nacht feierten. Ich trat in den Lichtkreis der Laterne.
    Der Mann fuhr zusammen, hob die Laterne hoch und starrte mich mit misstrauischer Neugier an.
    «Ich suche Herrn Schikaneder», sagte ich.
    «Schuldet er Ihnen Geld?»
    «Nein.»
    «Hat er Sie entehrt?»
    Ich beugte mich in Richtung des Mannes vor, da ich solche Unverfrorenheit nicht gewohnt war. Es war schon sehr lange her, dass ich den Umgang mit Theatervolk gepflegt hatte. «Was erlauben Sie sich?»
    Er grinste. «Ich denke, Sie sind sogar für ihn schon ein bisschen zu alt. Vielleicht war er hinter Ihrer Tochter her?»
    Ich riss die Augen weit auf.
    «War ja nur so eine Frage. Sie finden ihn da drüben.» Der Mann fuhr sich mit dem Zeigefinger über die Nase und deutete dann in die dunkelste Ecke des Raums.
    Ein großer, breitschultriger Mann kam mir mit ausgestreckten Armen entgegen. «Entschuldigen Sie meinen Freund Gieseke und seine üblen Scherze», sagte er. «In dieser Stadtgibt es so viele Scharlatane, dass man vor ihnen auf der Hut sein muss.»
    «Um seinen Ruf als größten aller Scharlatane zu verteidigen», murmelte der Mann im schwarzen Gehrock.
    Der große Mann lachte laut und dröhnend. «Emanuel Schikaneder, zu Ihren Diensten, Madame. Schauspieler, Sänger, Theaterproduzent und Bewunderer wohlerzogener Damen, die es sich nicht bieten lassen, von Lakaien mit schlechten

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