Mozarts letzte Arie
Zierdegen von Herren.»
Ich verstand, warum Wolfgang sich von einer solchen egalitären Bruderschaft angezogen fühlen musste. Standesunterschiede hatte er stets gehasst. Im Dienst des Prinzerzbischofs von Salzburg war er wie ein Lakai behandelt worden, musste mit der Dienerschaft essen und durfte nur die Musik komponieren, die sein Herr für angemessen hielt. Um dieserKnechtschaft zu entkommen, war Wolfgang nach Wien ausgerissen.
«Die Wertschätzung, die die Logenbrüder ihm entgegenbrachten, war für Wolfgang von höchster Bedeutung.» Constanze verschränkte die Hände vor der Brust. «Er war sehr liebesbedürftig.»
Darin lag etwas Wahres. Es war eine Sehnsucht, die er in seiner Kindheit entwickelt hatte, als die wichtigsten Persönlichkeiten in Europa ihn mit ihrer Zuneigung verwöhnt hatten. Ganz gleich, wie erwachsen er geworden war, Bewunderung und Zuspruch brauchte er auch weiterhin.
«Die Liebe, die er gebraucht hätte, hat er nicht immer bekommen …» Sie brach ab.
«Von seiner Familie.» Ich wandte mich jetzt Constanze ganz zu. «Schwester, Wolfgang hat mich in seinen Briefen und Gesprächen oft als prüdes, affektiertes Mädchen bezeichnet. Ich kann nicht leugnen, dass ich mich allzu sehr mit Bändern und Frisuren und der neuesten Hutmode beschäftigt habe. Ehe und Mutterschaft aber haben mich reifen lassen. Heute würde er mich als einen anderen Menschen kennenlernen, genau wie du.»
Constanzes Lächeln, ein Beben der Lippen, stand im Kontrast zu ihrem angespannten Blick. «Er hat oft von dir gesprochen», sagte sie. «Am Ende. Er hat oft an dich gedacht.»
Ich überlegte. «Hat er das? Obwohl ich meine Beziehung zu ihm vernachlässigt habe?»
«Seit mindestens drei Jahren.»
«Mindestens.» Ich wunderte mich über den Ärger, der sich auf ihren zerbrechlichen Zügen zeigte. «Dafür bitte ich dich um Vergebung, so wie ich auch zu seiner Seele bete, dass er mich von der Schuld, die ich empfinde, lossprechen möge. Ich habe immer daran geglaubt, dass wir wieder vereint sein würden. Da das nun aber nicht mehr geschehen kann, möchteich gern wissen, wie er während unserer Trennung gelebt hat. Hat er über seine Gedanken während dieser Zeit keine Aufzeichnungen hinterlassen?»
«Nur seine Musik.»
«Nichts Schriftliches? Kein Tagebuch?»
«Nein, aber ich …» Constanze saugte an ihren Lippen. Sie ging zu einem Schreibsekretär, der unter einem Fenster stand, und schob den Rollladen hoch. «Ich habe in dieser Woche seine Papiere geordnet. Ich habe daran gedacht, eine Biografie Wolfgangs zu veröffentlichen. Um etwas Geld zu verdienen, solange …»
«So lange man sich noch für sein Leben interessiert?»
Sie wiegte ihren Kopf. «Seine Schulden müssen beglichen werden. Für die Zukunft der Jungen.»
«Ich verstehe. Natürlich.»
Sie zog ein Blatt Papier aus einem der Kästchen des Sekretärs. «Das habe ich in seinem Schreibtisch gefunden.»
Ich nahm das Blatt und las. «Das ist die Idee für eine Freimaurergesellschaft.»
«Geschrieben in Wolfgangs Handschrift.»
«Er schreibt, dass er eine Loge namens
Die Grotte
gründen will. Was für ein merkwürdiger Name.»
«Nicht wahr? Über seine Absichten gibt es nur diese paar Sätze. Er hat die Seite gar nicht zu Ende geschrieben. Während er das geschrieben hat, muss ihn die Krankheit überkommen haben.»
«Er geht davon aus, dass seine Loge ‹bahnbrechend› sein würde. Wie das? frage ich mich.» Mein Bruder hatte stets eine Vorliebe für Geheimschriften, die nur er und einige Freunde entziffern konnten, und er erfand imaginäre Länder, in denen er König sein konnte. Offenbar hatte er den Wunsch gehegt, zumindest einen Zweig der Geheimgesellschaft der Freimaurer zu beherrschen. «Hat er das dir gegenüber nie erwähnt?»
«Die Freimaurerei behielt er für sich. Wenn er seine Idee doch nur mit mir geteilt hätte …» Constanze zuckte mit den Schultern.
«Du könntest einen seiner Logenbrüder fragen, ob Wolfgang ihnen etwas über
Die Grotte
gesagt hat», sagte ich. «Sie könnten seinen Entwurf vervollständigen und die Absicht der Loge beschreiben.»
«Welchen Sinn sollte das haben?»
«Wenn du die Biografie schreibst, könnte es vielleicht …»
Ihr Blick bekam etwas Gewitztes und Verschwörerisches. Das Mädchen erschien in der Tür.
«Ja, Sabine», sagte Constanze.
Das Mädchen knickste. «Herr Stadler ist da.»
3
Anton Stadler begrüßte Constanze mit einem Handkuss und der labilen Jovialität eines nervösen
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