Mr Monster
und warf sie in die Flammen, die inzwischen hoch genug brannten, um zu tosen und zu knacken. Entzückt machten sie sich über das neue Stück Holz her, und ich lächelte wie der stolze Besitzer eines klugen Hunds. Das Feuer war mein Haustier, mein Gefährte und mein einziges Ventil. Wenn Mr. Monster in mir lärmte, ich solle meine Regeln brechen und jemandem wehtun, konnte ich ihn mit einem guten Feuer immer besänftigen. Schon griffen die Flammen auf die zweite Palette über, ich vernahm das dumpfe Tosen, mit dem sie den Sauerstoff anzogen, und lächelte. Sie verlangten nach frischer Nahrung, also ging ich hinein und holte noch zwei Paletten. Etwas mehr konnte nicht schaden.
»Tu mir bitte nicht weh!«
Ich mochte es sehr, wenn sie das sagte. Irgendwie und aus irgendeinem Grund rechnete ich immer damit, dass sie fragte: »Wirst du mir jetzt wehtun?« Doch dazu war sie viel zu klug. Sie war im Keller an die Wand angekettet, und ich hielt ein Messer in der Hand. Natürlich würde ich ihr wehtun. Brooke stellte keine dummen Fragen, und das war einer der Gründe dafür, dass ich sie so mochte.
»Bitte, John, ich flehe dich an. Bitte, tu mir nicht weh!«
Das hätte ich mir stundenlang anhören können. Es gefiel mir, weil sie damit direkt zur Sache kam: In dieser Situation lag die ganze Macht in meinen Händen, und das wusste sie. Ganz gleich, was sie wollte, ich war der Einzige, der es ihr geben konnte. In diesem Raum, mit dem Messer in der Hand, war ich ihre ganze Welt und verkörperte alle ihre Hoffnungen und Ängste. Ich war ihr Ein und Alles.
Fast unmerklich bewegte ich das Messer, und sofort stieg meine Erregung, als ihr ängstlicher Blick der Klinge folgte: erst nach links, dann nach rechts, nach oben, nach unten. Es war ein intimer Tanz, unsere Gedanken und Körper in höchster Harmonie.
So hatte ich mich schon einmal gefühlt, als ich meine Mutter in der Küche mit einem Messer bedroht hatte. Damals hatte ich aber noch nicht gewusst, dass Brooke die Einzige war, bei der es mir wirklich etwas bedeutete. Nur zu Brooke wollte ich wirklich eine Beziehung herstellen.
Ich hob das Messer und tat einen Schritt auf sie zu. Wie eine Partnerin beim Tanz bewegte sich auch Brooke und presste sich mit dem Rücken an die Wand. Sie riss die Augen weit auf, ihr Atem beschleunigte sich. Eine vollkommene Verbindung.
Vollkommen.
Alles war vollkommen – genau, wie ich es mir tausendmal ausgemalt hatte. So wurde Phantasie zur Realität, ein derart vollkommenes Szenario, dass es mich fast überwältigte. Brooke heftete die großen Augen unverwandt auf mich. Sie schauderte, als ich die Hand nach ihr ausstreckte, nach ihrer hellen Haut. Gefühle stiegen in mir auf, brodelten, kochten über, versengten mich.
Das ist falsch. Es ist genau das, was ich immer wollte, und genau das, was ich immer vermeiden wollte. Richtig und falsch zugleich.
Ich kann Traum und Albtraum nicht mehr unterscheiden.
Es gab nur eine Möglichkeit, die Sache zu beenden. Die Art und Weise, wie es immer endete. Ich rammte Brooke das Messer in die Brust, sie kreischte, und ich wachte auf.
»Aufstehen«, sagte Mom noch einmal und schaltete das Licht ein. Stöhnend drehte ich mich um. Ich hasste das Aufwachen, aber den Schlaf hasste ich noch mehr – viel zu viel Zeit, die ich allein mit meinem Unterbewussten verbringen musste. Mühsam stemmte ich mich hoch und schnitt eine Grimasse. Schon wieder ein Albtraum, und höchstens zwanzig Stunden, bis der nächste beginnt.
»Heute ist ein wichtiger Tag«, verkündete Mom und zog die Jalousien vor meinem Fenster hoch. »Nach der Schule hast du einen Termin bei Clark Forman. Komm schon, steh auf!«
Ich blinzelte müde. »Muss ich denn wirklich schon wieder zu Forman?«
»Ich hab’s dir doch letzte Woche erklärt«, sagte sie. »Wahrscheinlich eine weitere Aussage.«
»Meinetwegen.« Ich stieg aus dem Bett und wollte duschen, doch Mom versperrte mir den Weg.
»Warte!«, ermahnte sie mich streng. »Was dürfen wir nicht vergessen?«
Seufzend sagte ich mit ihr zusammen unseren rituellen Morgenspruch auf: »Heute will ich gute Gedanken denken und jedem, der mir begegnet, ein Lächeln schenken.« Zufrieden klopfte sie mir auf die Schulter. Manchmal hätte ich einfach lieber nur einen Wecker gehabt.
»Cornflakes oder Cheerios?«
»Ich kann mir mein Müsli selbst machen«, wehrte ich ab und drängelte mich an ihr vorbei ins Bad.
Meine Mom und ich lebten über der Leichenhalle in einem stillen kleinen Viertel
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