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Mrs. Alis unpassende Leidenschaft

Mrs. Alis unpassende Leidenschaft

Titel: Mrs. Alis unpassende Leidenschaft Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Helen Simonson
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bringen. Auf diese Weise wird zumindest die Ehrenschuld beglichen, und Amina und George können ihr Leben weiterleben.«
    »Aber wie soll denn ein Selbstmord mit irgendetwas in Einklang zu bringen sein?«
    »Ich werde keinen Selbstmord begehen. Das ist
haràm.
Ich werde nur am Rand der Klippe beten und darauf warten, dass der Wind mich irgendwohin trägt. Vielleicht nach Mekka.« Er breitete die Arme aus, und das schwere Hemd bauschte sich und schlug im Wind wie ein Segel in Luv. Der Major spürte, dass ihm die kümmerliche, durch das Gespräch gerade entstandene Verbindung zu Abdul Wahid entglitt. Er ließ den Blick schweifen und glaubte, im Gestrüpp mehrere Köpfe hervorspitzen zu sehen. Er winkte heftig, aber das erwies sich als ein Fehler. Auch Abdul Wahid sah die freiwilligen Helfer, und aus seinem Gesicht wich alles Leben.
    »Sie haben mich schon viel zu lange aufgehalten, Major«, sagte er. »Ich muss zurück zu meinen Gebeten.«
    Als er sich umwandte, langte der Major in seine Tasche, zog zwei Patronen hervor, schob sie in die Läufe und verschloss das Gewehr mit einer Hand. Selbst im anschwellenden Geheul des Windes war ein deutliches Klicken zu hören. Abdul Wahid blieb stehen und sah den Major an, der jetzt zwei weit ausholende Schritte nach unten machte und sich zwischen ihn und den Klippenrand schob. Kläglich wurde dem Major bewusst, wie bröckelig und uneben der Boden war, und da er nicht hinter sich blicken konnte, verspannten sich seine Beine, bis er in der rechten Wade einen Krampf spürte. Abdul Wahid lächelte ihn milde an und sagte: »Sie wollen mich also doch erschießen, Major?« Wieder breitete er die Arme aus, bis der Wind sein Hemd flattern ließ, und ging taumelnd einen Schritt nach vorn.
    »Nein, ich habe nicht die Absicht, Sie zu erschießen«, sagte der Major. Er ging ein Stück bergauf und drehte die Flinte in den Händen um, so dass das Schaftende zu Abdul Wahid hin zeigte. »Da!«
    Abdul Wahid ergriff die Waffe, als sie in seinen Bauch gestoßen wurde, und hielt sie verdutzt fest. Der Major trat einen Schritt zurück und registrierte mit großem Unbehagen, dass die Läufe auf seine Brust gerichtet waren. »Jetzt werden Sie wohl mich erschießen müssen.«
    »Ich bin kein gewalttätiger Mensch«, entgegnete Abdul Wahid und senkte die Flinte ein wenig.
    »Sie haben leider keine Wahl«, sagte der Major. Er machte wieder einen Schritt nach vorn und hielt sich die Läufe an die Brust. »Ich kann Sie nämlich nicht da hinunter lassen, und wenn es sein muss, bleibe ich die ganze Nacht zwischen Ihnen und dem Klippenrand stehen. Dann können Sie nicht versehentlich umgeweht werden. Springen können Sie natürlich schon, aber das hatten Sie ja nicht vor, oder?«
    »Das ist doch albern. Ich könnte Ihnen niemals etwas antun, Major.« Abdul Wahid trat einen halben Schritt zurück.
    »Wenn Sie heute hier sterben, verliere ich Ihre Tante Jasmina, und ich will nicht ohne sie leben.« Der Major bemühte sich, mit fester Stimme zu sprechen. »Außerdem werde ich Ihrem Sohn George bestimmt nicht gegenübertreten und ihm sagen, dass ich danebenstand und den Selbstmord seines Vaters zuließ.« Er machte wieder einen Schritt auf Abdul Wahid zu, so dass dieser nach hinten ausweichen musste; dabei bewegte er die Hände, um das Gewehr besser in den Griff zu bekommen. Der Major betete darum, dass die Finger des jungen Mannes nicht in die Nähe des Abzugs gerieten.
    »Verstehen Sie denn nicht, dass Ihr Gefühl der Scham nicht mit Ihnen sterben würde, Abdul Wahid? Es würde in Ihrem Sohn und in Amina und in Ihrer Tante Jasmina weiterleben. Der Schmerz, den Sie durchlitten haben, würde diese drei Menschen ihr ganzes Leben lang verfolgen. Ihr Todeswunsch ist egoistisch. Aber ich bin auch ein egoistischer Mensch – wahrscheinlich, weil ich jahrelang allein gelebt habe –, und ich möchte es nun mal nicht miterleben.«
    »Ich will Sie aber nicht erschießen!« Abdul Wahid weinte jetzt fast. Sein Gesicht zuckte vor Angst und Verwirrung.
    »Entweder erschießen Sie mich, oder Sie entscheiden sich fürs Weiterleben«, erklärte der Major. »Andernfalls kann ich Ihrer Tante nicht mehr unter die Augen treten. Merkwürdig, dass es uns beide jetzt nur im Doppelpack gibt.«
    Abdul Wahid heulte zornig auf und ließ das Gewehr zu Boden fallen. Es kam mit dem Schaft auf. Die Flinte donnerte los und entlud sich, wie der Major sah, nur aus einem der beiden Läufe.
    Weißglühender Schmerz durchzuckte sein rechtes Bein.

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